Kapitel 1
Mit Athenas weichem Pelz an ihrer Seite, stapfte Sylvia durch den Schnee. Es war ganz ruhig, bis auf das Knirschen ihrer Schritte, und die ihrer Schwester. Von überall her glitzerte der Schnee, Eiszapfen schimmerten an den vereinzelt herumstehenden Bäumen, aber trotz der Stille schien sich ein Sturm anzukündigen, denn grauschwarze Wolken tummelten sich am Himmel.
"Wir müssen uns beeilen und was zu essen finden, bevor der Sturm anfängt."
"Ja, du hast Recht, Sylvie, ich hab keine Lust eingeschneit zu werden.", meinte Athena und nahm etwas Abstand zu ihrer Schwester, ihre hübschen, bepinselten Ohren zuckten und ihr eleganter Schweif peitschte leicht. Sie schien etwas gehört zu haben.
Sylvie wandte langsam den Kopf und versuchte, mit ihren trichterartigen Ohren Geräusche von Beute aufzufangen. Ein leises Trippeln erregte ihre Aufmerksamkeit. Eine Maus. Auf leisen Pfoten verfolgte sie das Geräusch. Die gefrorene Schneedecke hielt gerade noch ihr Gewicht, aber nur, weil sie es auf die Oberschenkel verlagerte. Etwa eine Beinlänge unter ihr hörte sie das Rascheln einer Maus im Gras. Der Wind frischte auf, sie musste die Maus schnell fangen und dann zurück zu ihrer Familie. Geduckt sammelte sie Kraft in ihren muskulösen Hinterbeinen und machte einen hohen Sprung. Mit der Schnauze vorran, stieß sie durch das dünne Eis und tauchte in den Schnee ein. Ihre spitze Schnauze packte den braunen Körper unter den Eiskristallen und vernichtete das Leben, das in ihm wohnte. Mit dem noch warmen Wesen tauchte Sylvia wieder auf und lächelte.
"Gute Fang!", bellte Athena, doch dann fiel ihr eine Schneeflocke auf die Nase.
"Schnell weg hier.", Sylvia befreite sich vom Schnee und sprang aus dem Loch heraus um in Richtung Berge zu rennen. Die zwei Polarfüchse fielen überhaupt nicht auf wie sie über die weiße Fläche hechelten so schnell sie konnten. Aber egal wie schnell sie rannten, der Sturm holte sie ein.
"Schneller, Athena!", bellte Sylvia durch den heulenden Wind und legte noch einen Zahn zu, doch die Schneeflocken umgaben sie schon so dicht, dass sie gerade noch ihre schwarze Nase erkennen konnte. Unerbittliche Kälte kroch durch ihren dicken Pelz. Überall war alles weiß. Kälte und Angst ließen Sylvia erschaudern.
"Athena? Athena!", plötzlich spürte sie das Fell ihrer Schwester nicht mehr an ihrem spüren. Das Weiß hatte sie verschluckt.
"Athena!", panisch versuchte sie, durch das Heulen des Schneesturms zu schreien, doch ihre Stimme wurde leicht davongetragen, wie eine Feder.
Athena war weg, ihre Fußspuren zugeschneit. Kurz hörte sie ihren Namen, ganz leise, weit weg.
"Athenaaa!"
Keine Antwort. Der Wind pfiff laut und erbarmungslos in ihren Ohren, Eiskristalle verfingen sich in ihrem Fell.
Ich muss nach Hause! Athena wird auch dort sein. Bestimmt.
Mit den schwachen Umrissen der Berge im Blick stapfte Sylvia durch den wirbelnden Schnee, ihre Pfoten wurden taub vor Kälte. Je weiter sie ging, desto steiniger wurde der Boden unter ihren Füßen, eiskalte Kiesel stachen in ihre Ballen. Sylvia roch, dass ihre Familie in der Nähe war. Sie roch genau genommen Jo, eine kleine Fähe, die in der letzten Wärmezeit gefunden worden war. Schon blitzten Jos orangefarbene Augen auf.
"Sylvie! Dem Himmel seI Dank, ihr habt es geschafft."
Die aufgeweckte Füchsin sprang um sie herum, doch dann stutzte sie.
"Wo ist Athena?"
"I-Ich hab sie verloren. Ist sie nicht hier? Bitte sag, dass sie hier ist!"
Jo legte verschreckt die Ohren an, sie schluckte hörbar.
"Sie...ist nicht zurückgekehrt, nicht wahr?"
Sylvia ließ den Mäusekörper fallen, die Beute bedeutete ihr nichts mehr. Schritte ließen sie aufhorchen, ein mächtiger, muskulöser Fuchs kam aus dem Dunkel heraus.
"Vater..."
"Töchter. Wie schön, dass ihr von der Jagd zurückkehrt."
Sylvia sah nur zu Boden. Ihr Vater sah sich um.
"Wo ist Athena?", knurrte er.
"Draußen.", murmelte sie, ohne ihren Vater anzusehen.
"Wie kann sie jetzt noch draußen sein?! Sie war doch bei dir!", der Fuchsrüde knurrte und grub seine Klauen in den Boden.
"Ich hab sie...im Sturm verloren. Auf einmal war sie verschwunden."
Ihr Vater holte schon mit der Pfote aus, doch Jo hielt ihn ab.
"Nicht, Ray. Wir finden Athena, wenn der Sturm vorbei ist. Sie ist klug und findet einen Unterschlupf."
Ray, wie Jo ihn genannt hatte schnaubte und zeigte seiner Tochter kurz die gefletschten Zähne, zog sich aber zu seiner Fähe, und damit Sylvias Mutter zurück. Diese war schlank und hübsch, genauso wie Athena es war. Nur Sylia war es nicht. Zu ihrem dünnen Körper passte das breite Gesicht überhaupt nicht. Das einzige was sie an sich schön fand, waren ihr blaugrauen Augen. Ihre Ohren waren ihr zu groß, die Beine zu kurz, die Pfoten zu zerbrechlich. Zudem zogen sich unter ihrem Fell Narben durch die Haut. Narben die ihr Vater ihr zugefügt hatte, bei jedem Fehler den sie gemacht hatte.
Mit tief geduckter Haltung schlich Sylvia zu ihrem Schlafplatz, bei ihren beiden Brüdern Kiko und Fosett.
"Hey, das wird schon wieder, Schwesterchen. Wir finden sie."
"Ach Kiko. Das ist alles meine Schuld. Vater ist wütend."
"Natürlich ist er wütend. Er ist nie etwas anderes.", Fosett rollte mit den Augen und stupste seine Schwester mit der Nase an.
"Das kommt alles wieder in Ordnung. Ganz bestimmt."
Zweifelnd blickten Sylvias Augen, dann sah sie zu Boden und legte den Kopf auf ihre Pfoten. Lange noch pfiff der Wind gnadenlos um die Fuchshöhle, doch Athena tauchte nicht auf.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Com