Versprochen
"Was wird das denn jetzt, Dani?", brummte Tygran, sein Blick heftete auf dem Arbeitsblatt für den Politikunterricht, dessen deutsche Fachbegriffe nicht einmal Dani verstanden hatte. Letzterer hatte sich wieder mit der Broschüre neben seinen Freund gepflanzt und fing aus irgendeinem Grund an, an Tygrans Ohr zu ziehen.
"Angeblich sind die Ohren eine erogene Zone...", murmelte er und sah Tygran neugierig an.
"Wirklich?" Er runzelte ungläubig die Stirn, während er Dani noch etwas herumprobieren ließ.
"Merkst du was? Irgendein tiefes Verlangen...?", grinste er und drückte auf seinen Ohrläppchen herum.
"Ja, das Verlangen dich vom Bett zu schubsen..."
"Ist ja langweilig..." Dani steckte seine Nase wieder in das kleine Heftchen.
"Tja, dann bist du scheinbar kein richtiger Kerl..." Er zuckte mit den Schultern.
"Sagt der Typ ohne Körperbehaarung... Sehr unmännlich!", feuerte Tygran mit einem Lachen zurück, den Text, den er eigentlich lesen wollte, längst vergessen.
"Sagt der Typ, der anfängt zu quieken, wenn ich ihn ausziehe..." Dani verengte belustigt die Augen.
"Gar nicht wahr!", beschwerte Tygran sich. Dani grinste.
"Ach wirklich?" Er drückte provozierend mit dem Zeigefinger auf Tygrans Hosenknopf. Letzterer verspannte sich automatisch. Dani wollte gerade seine Hand unter den dehnbaren Jeansstoff schieben, da hörte er, wie sich unten plötzlich die Haustür öffnete. Im gleichen Moment schubste Tygran ihn mit einem leichten Kiekser vom Bett.
"Alter!", stöhnte Dani nach seinem Aufprall und rappelte sich wieder auf, während er sich seinen schmerzenden Ellenbogen rieb.
"Ups...", machte Tygran nur und räusperte sich. Dani schüttelte mit einem Seufzen den Kopf. Nach ein bisschen Gezanke begaben sich die beiden zum Abendbrot essen in die Küche.
"Ich sehe in euren Gesichtern, dass ihr keine der Aufgaben gemacht habt, die Sam euch mitgebracht hat!" Danis Mutter stützte die Hände in die Hüften, als Dani und Tygran gleichzeitig nach der größten Scheibe Brot griffen.
"Doch! Die Ableitung von Wurzel x ist-... äh..." Tygran stopfte sich schnell ein paar Tomaten in den Mund, um nicht weiterreden zu müssen.
"Wirklich, Jungs! Ihr geht übermorgen wieder in die Schule!"
"Wir machen die Aufgaben schon noch, kein Stress...", grummelte Dani und rammte Tygran in die Seite, damit er das Brot losließ.
"Ich nehm dich beim Wort! Und Tygran, vielleicht solltest du vorher einmal die Sache mit deinem Onkel klären." Sie blickte ihn vorsichtig an. Tygran sackte ein wenig in sich zusammen, bevor er sie schüchtern anlächelte.
"Eine andere Wahl habe ich kaum. Ich werde morgen zu ihm gehen", murmelte er.
"Seid ihr wahnsinnig?! Du bleibst hier, der prügelt dich noch tot!!", rief Dani schockiert. Erschrocken blickte Tygran ihn an, dann fiel sein Blick auf Danis Mutter.
"Sie weiß es", fügte Dani schnell hinzu.
"Ich-..." Verunsichert stand Tygran auf, Dani konnte ihm ansehen, dass ihm das Ganze zu viel wurde. Verdammt, er hätte ihm sagen sollen, dass er seiner Mutter alles erzählt hatte. Tygran sah immer wieder nervös zur Tür, doch bevor er etwas unternehmen konnte, trat Danis Mutter auf ihn zu und nahm seine Hände.
"Es ist schon gut, Tygran", murmelte sie und strich ihm beruhigend über den Handrücken.
"Ich hatte mir etwas ähnliches schon gedacht und ich habe Dani gezwungen, mir alles zu sagen."
"A-Alles?" Tygran schluckte und warf Dani einen hilflosen Blick zu. Kaum merklich schüttelte Dani seinen Kopf, ohne dass seine Mutter etwas mitbekam.
Sie wusste längst nicht alles. Wer weiß welche Maßnahmen sie ergriffen hätte, wenn Dani ihr die Gründe hinter Tygrans Trauma erzählt hätte? Dass er unter seinem Onkel litt, war schließlich nur die Spitze des Eisberges...
Er bemerkte, wie Tygran halbwegs erleichtert ausatmete.
"Hör zu, Tygran, ich weiß, dass du es nicht einfach hast. Und was auch immer es ist, du kannst immer zu mir kommen und du bist in diesem Haus immer willkommen!" Sie ließ ihn vorsichtig wieder los, bevor sie langsam eine Hand auf seine Wange legte.
"Wenn er dir weh tut, kommst du einfach hier her, okay?", lächelte sie und Tygran nickte langsam. Da kamen wieder ihre psychotherapeutischen Kenntnisse durch...
"Okay...", nuschelte er.
"Und versprich mir, dass du das ganze nicht in dir verschließt! Du kannst immer mit Dani und mir reden!"
Danis Mutter tätschelte seine Schulter, bevor Tygran sich wieder hinsetzte.
"Braucht ihr sonst noch was?", fragte sie.
"Nein, Mum, alles gut." Dani nahm heimlich Tygrans Hand unter dem Tisch und drückte sie einmal.
"Na gut, dann bis morgen!" Sie verließ mit einem Lächeln die Küche.
"Bist du sicher, dass du zu ihm willst?", murmelte Dani und sah Tygran an, der gedankenverloren auf seinen Teller blickte. Es dauerte eine Weile, bis er sich zu Dani drehte und ihm in die Augen blickte.
"Ich kann nicht länger vor ihm weglaufen..."
"Aber ich will nicht, dass dir etwas passiert!" Fast schon trotzig zog er Tygran an sich und vergrub sein Gesicht in seiner Schulter.
"Ich werde mich wehren, Dani."
Er spürte, wie sich eine große Hand auf seinen Hinterkopf legte und ihm durch die Haare strich.
"Versprochen?", flüsterte Dani und atmete tief Tygrans Geruch ein. Er war so warm...
"Versprochen."
Dani schloss für einen Moment die Augen, er hatte gar keinen Hunger mehr. Er wollte nur, dass Tygran bei ihm blieb.
"W-Was ist mit dieser beschissenen Flinte?" Dani schluckte bei dem Gedanken.
"Das würde er nicht wagen..."
"Bist du dir sicher?!"
"Ja... Mach dir keine Sorgen, Dani."
Tygran löste sich von ihm, und Dani vermisste sofort die Wärme seines Körpers. Er blickte in Tygrans Augen, sie waren so tief und unergründlich, wie Dani sie in Erinnerung hatte. Jedes Mal erkannte er den Schmerz, den diese Augen mit sich trugen, doch genauso bemerkte er das hoffnungsvolle Schimmern, wenn sie Dani erblickten.
"Ich liebe dich...", flüsterte Dani stimmenlos, er konnte sich nicht von Tygrans Augen losreißen. Die Mundwinkel seines Freundes hoben sich, als er Dani unsicher anlächelte. Er legte eine Hand auf Danis Wange.
"Ich liebe dich auch, Dani", murmelte er so leise, dass Dani es nicht gehört hätte, würden sich ihre Nasenspitzen nicht berühren. Ohne lange darüber nachzudenken, küsste er Tygran. Sanft und leicht berührten sich ihre Lippen, im Moment war es Dani egal, dass man sie durch die gläserne Küchentür eventuell sehen konnte. Er drückte Tygran in die Ecke der Küchenbank und schmiegte sich an ihn, seine Augen geschlossen. Seine Hand verfing sich in Tygrans weichen Haaren, während sich Tygrans Arme um ihn schlangen.
Obwohl Dani das Verlangen nach mehr Kontakt verspürte, blieb der Kuss sanft und unschuldig, alles andere würde sie letztendlich nur vom Abendbrot abhalten. Lächelnd legte er eine Hand auf Tygrans Brustkorb.
"Dein Herz schlägt viel zu schnell", lachte er unbeschwert und Tygran wurde rot.
"I-Ich hab Hunger!", stotterte er und griff erneut nach dem Brotkorb.
"Vielfraß...", prustete Dani als Tygran gleich drei Wurstbrote übereinander legte. Sein Freund warf ihm einen unbeeindruckten Blick zu und legte noch eine Scheibe oben drauf.
"Mehr schaffst du nicht?", ärgerte Dani ihn dann, was dazu führte, dass Tygran sich noch mehr Brot und Wurst auf sein Vierfach-Sandwich legte.
"Drei Bissen, wetten?", grinste Tygran und Dani sah ihn ungläubig an.
"Nie im Leben! Wenn du das schaffst kaufe ich dir einen Kilo Gummibärchen!"
Dani wusste, er hätte nicht so voreilig sein dürfen. Er hatte deutlich unterschätzt wie viel in Tygrans Mund passte... Dani zwang sich schnell bloß nicht an etwas anderes zu denken...
Tygran musste zwar ziemlich lange kauen, aber so wie er dieses Ungetüm von Wurstbrot verschlang, konnte er kein menschliches Wesen sein. Mit vollgestopften Backen sah er beinahe aus wie ein Eichhörnchen...
"Du könntest bei Esswettbewerben so viel einsacken..." Dani schüttelte den Kopf, als Tygran ihn schelmisch angrinste.
Nachdem die beiden den Esstisch buchstäblich leergefegt hatten, begaben sie sich wieder zurück in Danis Zimmer. Sein Vater hatte noch etwas zu erledigen und seine Mutter war bereits im Bett, weswegen die beiden versuchten, möglichst leise zu sein. Was bei zwei übergroßen Teenagern natürlich alles andere als wirklich leise war. Sie traten sich beim Zähneputzen gegenseitig auf die Füße und blieben wie gewohnt im Türrahmen hängen, wenn sie gleichzeitig hindurchgingen. Tygran vergaß sich desöfteren zu ducken, wodurch Dani einen kleinen Vorteil hatte und sich zuerst aufs Bett warf.
Tygran schloss die Tür hinter sich und rieb sich grummelnd die Stirn, dann schaltete er das Licht aus und legte sich zu Dani, der die Decke für ihn anhob. Das Bett knarzte, als beide es sich gemütlich machten. Dani spürte Tygrans Atem an seinem Ohr, als er ihn von hinten umarmte. Er legte seine Hände auf die seines Freundes und schob seine Beine zwischen Tygrans warme.
"Dani...?", flüsterte Tygran auf einmal.
"Hm?" Dani streichelte müde seine Hände.
"Alles was ich dir erzählt habe... über meine Eltern und... was damals passiert ist... Das weiß sonst niemand, oder?", fragte er unsicher.
"Nein. Nein, keine Sorge", antwortete Dani sofort, er wollte auf keinen Fall Tygrans Vertrauen verlieren.
"Ich schwöre dir, dass ich niemandem davon erzähle, auch nicht meiner Mutter."
"Gut..." Seine Stimme war ein angenehmes Brummen, er klang müde.
"Ich wusste, ich kann dir vertrauen."
"Das kannst du immer, Tygran. Versprochen."
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