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IX - Beinaheausrutscher

„Erik, was kann ich für dich tun?"

Nadine schaute aufmerksam von dem Papierkram auf, die sie gerade sortierte. Heute trug sie eine cremeweiße Rollkragenbluse, die den grau–blauen Drachen versteckte, der seine Flügel von ihrer linken Schulter ausbreitete und seinen schlanken Kopf bis zu ihrem Hals ausstreckte. Ihre wachsamen blauen Augen musterten ihn. Dieser Gang war ihm besonders schwer gefallen. Er wusste, dass Nadine der Schweigepflicht unterlag. Und jetzt war wirklich der Zeitpunkt gekommen – er musste es ihr einfach sagen. Das Wochenende war so schleppend vergangen und er hatte kaum den Montag abwarten können. Jetzt war er da.

„Ich hab ein Problem."

Nadine ließ sich nicht anmerken, was sie davon hielt oder was sie erwartete – sie zuckte nicht einmal. Stattdessen deutete sie auf den Stuhl, der vor dem Schreibtisch stand.

„Schieß los."

Einen kurzen Moment lang überlegte Erik, ob er vielleicht doch nicht die Wahrheit sagen sollte. Zögerlich begann er.

„Ich hab da ... jemandem geholfen. Aber ..."

Nein. Das konnte er jetzt nicht wirklich tun. Was würde Nadine mit dem Wissen machen? Ja, sie hatte Schweigepflicht, aber was, wenn es ein Aber gab? Es gab doch immer eins. Scheiße, darüber hätte Erik sich vorher informieren sollen. Auf einmal fühlte er sich, als würde er auf dem Zehnmeterbrett stehen und nach unten schauen. Alle sahen zu, was würde er tun?

„Und weiter ...?", half Nadine ihm geduldig auf die Sprünge. Ihr Blick scannte ihn ab wie ein Lügendetektor. Sie war zu jung, um sehr viel Menschenkenntnis zu haben, aber Erik war noch jünger – würde er ihr erfolgreich etwas vormachen können?

„Und ... die junge Frau, der ich geholfen habe, sie wurde belästigt. Aber sie will den Täter nicht anzeigen."

Stirnrunzelnd lehnte Nadine sich in ihrem Stuhl zurück.

„Ich verstehe ..."

Erik spürte, wie er rot anlief. Auf einmal wurde sein Hemdkragen immer enger, doch er verzichtete darauf, ihn zu lockern. Bloß keine verdächtige Bewegung machen. An Nadines Gesicht erkannte er nicht, ob sie ihm das abkaufte, was er ihr aufgetischt hatte.

„Was soll ich jetzt machen?", fragte er, nachdem Nadine eine ganze Weile geschwiegen hatte. War das jetzt etwa eine Taktik? Was, wenn sie spürte, dass da einiges mehr in der Luft lag? Er hätte niemals herkommen sollen. Einfach abwarten bis zum nächsten obligatorischen Termin und schön die Klappe halten. Aber nein, Eriks schlechtes Gewissen hatte ihn von Leona letztendlich hierher getrieben. Und das Schlimmste war, dass es sich mal wieder um eine Kurzschlussreaktion gehandelt hatte. Viel Überlegen steckte nicht dahinter. Die Idee hatte sich in seinem Kopf eingenistet und schnell Kleine bekommen.

„Du hast der Frau geholfen, das ist doch gut, aber du kannst sie schlecht dazu zwingen, den Kerl anzuzeigen. Vielleicht redest du nochmal in Ruhe mit ihr?", schlug Nadine vor.

„Das ... klingt gut. Ich weiß nicht, sie hat so komisch auf mich gewirkt. Wenn ich anfange, von dem Vorfall zu sprechen, lacht sie. Sie lacht es einfach weg und ich verstehe es nicht."

Jetzt hatte Erik mehr gesagt, als er wollte. Es war aus ihm herausgesprudelt und er hatte sich nicht dagegen wehren können. Aber Nadine ließ sich auf seine Frage ein.

„Vielleicht hat es bei ihr ein Trauma aufgerührt? Du solltest sensibel sein, wenn du mit ihr darüber sprichst. Jeder verarbeitet solche Dinge anders, weißt du? Verurteile sie nicht dafür, dass sie so reagiert", riet Nadine. Sie schien aber nachzudenken, während sie sprach. Hatte sie doch etwas bemerkt? Überprüfte sie Eriks Aussagen auf Unstimmigkeiten – auf Lügen?

„Okay. Danke, das hilft mir schon weiter", haspelte Erik. Der Stuhl schien ihn abwerfen zu wollen wie ein wilder Stier, er wollte so schnell wie möglich hier raus.

„Erik?"

Nadine sah ihn ernst an. Oh. Jetzt! Jetzt würde sie ihn fragen, weshalb er wirklich hierher gekommen war. Was er ihr wirklich sagen wollte.

„Ich finde es gut, dass du nicht weggeschaut hast."

Erleichtert atmete er aus.

„Danke."

Nadine öffnete die Schublade an ihrem Schreibtisch und suchte etwas darin. Erik wollte schon der kalte Schweiß ausbrechen, da legte sie ein viereckiges bunt bedrucktes Stück Papier auf den Tisch und schob es zu ihm hinüber. Es war ein Sticker mit ineinander verlaufenden Blau– und dunklen Lilatönen, auf dem in weißer Schrift Improve stand. Das wäre dann schon sein vierter – einen für jede Sitzung.

„Improve steht für mich dafür, dass man nie perfekt ist, aber immer etwas tun kann, um möglichst nah an das Leben heranzukommen, das man führen will und das gesund für einen ist. Auch wenn tief man gefallen ist, sollte man nie aufgeben."

Egal wie tief ... Sollte man nie aufgeben ... O nein, ahnte sie doch etwas? Hatte sie das gerade mit Absicht gesagt? Den Spruch hatte sie noch nie gebracht. Das davor schon. Ein Text, den sie wahrscheinlich jedem ihrer Schützlinge herunterratterte. Erik antwortete nichts, seine ganze Aufmerksamkeit galt seinem Körper, nicht dass er sich durch nonverbale Handlungen verriet. Scheiße, hätte sie sich nicht klarer ausdrücken können? Nadine sah Erik lange an, der schluckte schwer. Sag endlich was, dachte er sich. Das tat sie, als hätte sie seine Gedanken gehört.

„Ich weiß, das klingt anmaßend, denn ich bin schließlich nicht in deiner Situation. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass nach jedem Regen die Sonne wieder rauskommt."

„Ja."

Jetzt fummelte Erik doch an seinem Kragen herum. Worauf wollte sie hinaus, verdammt? Konnte sie nicht einfach Klartext reden?

„Gibt es sonst noch etwas, worüber du mit mir sprechen willst?", fragte sie nach einer kurzen, nachdenklichen Pause.

„Ähm ... nein."

„Na gut. Dann sehen wir uns nächste Woche wieder zu unserem regulären Termin. Vergiss deinen Sticker nicht."

Vor dem Justizgebäude lehnte er sich gegen die Wand und schloss einen Moment lang die Augen. Die Morgensonne küsste sein Gesicht mit ihren heißen Strahlen. Hatte er das gerade wirklich getan? O Mann, es war gerade nochmal gut gegangen. Doch es zeigte ihm auch, wie schnell er die Nerven verlieren konnte. Verdammt.

Zuhause war niemand. Nachdem Erik sich dessen vergewissert hatte, ging er in den Keller. Gedankenverloren lief er an der Reihe an Spirituosen vorbei. Er würde sich jetzt nur zu gern mit einer Flasche Schnaps in die Ecke setzen und heulen. Draußen lief ein Typ herum, den er in eine Baustellengrube gestoßen hatte und der sich vielleicht etwas geprellt, verstaucht oder gebrochen hatte. Er würde Erik suchen, um sich zu rächen, aber sicher. Früher oder später würde er sich auf etwas gefasst machen müssen. Was genau, das wusste Erik nicht, doch an dem Abend hatte der Kerl ihn auch nicht zimperlich angefasst.

Nicht nur Erik würde er heimsuchen, sondern bestimmt auch Leona. Von ihr hatte er etwas gewollt und es nicht bekommen. Du schuldest mir was, hatte er gesagt. Nur was? Leona kannte diesen Kerl, irgendetwas war zwischen den beiden vorgefallen. Sie hatte Erik angelogen mit der Behauptung, sie würde ihn nicht kennen. Dieses Mädchen war ein Geheimnis auf zwei Beinen, irgendwie reizte sie Erik – im guten wie im schlechten Sinn.

Sie hatte etwas verdammt Nerviges an sich, wie sie schlimme Situationen immer wegzulachen versuchte. Aber irgendwie war sie auch richtig süß, auf ihre total eigenwillige Art. Sie war tough, aber wie viel steckte schlussendlich dahinter? Erik wollte sie erkunden, er wollte mehr über sie wissen, aber gleichzeitig machte sie ihn fertig mit ihrer Art. Jedes Mal wenn er sie sah.

Seine braunen Augen blieben an der Darstellung eines Ritters kleben. Warum hatte sein Vater dieses Bild ersteigert? Es war nur eine Fotografie eines verkleideten Typen. Nicht einmal ein richtiges gemaltes Gemälde. Und dann auch noch schwarz–weiß. Normalerweise waren solche Drucke doch billiger als Farbkopien, oder nicht? Mit skeptischem Blick trat Erik näher heran. Das Foto steckte hinter wohl behütet hinter einer Glasscheibe. So nah, wie er jetzt stand, bildete sein Atem eine Nebelwand auf der durchsichtigen Schutzschicht. Er hatte das Gefühl, jeden einzelnen Pixel sehen zu können, aus dem das Foto bestand.

Wie mechanisch griff er in seine Hosentasche und holte einen kleinen Gegenstand aus Papier hervor. Improve, verkündete der Sticker fröhlich. Erik zog die Folie hinten ab und klebte ihn mitten auf das Gesicht des Ritters. Selig grinsend trat er einen Schritt zurück und betrachtete sein Werk von weiter weg. Auf das Gesicht seines Alten war er schon gespannt ...

„Erik? Bist du da?"

Wie vom Donner gerührt blieb er stehen. Die Stimme seiner Mutter kam von oben. Shit, er hatte die Tür zum Keller offen gelassen!

„Ach, hier bist du. Was machst du denn hier unten?"

Normalerweise hielt sich hier niemand auf. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, aber Settler Senior sah es aus irgendeinem Grund nicht gern, wenn sich jemand einfach grundlos hier unten aufhielt. Schnell lief Erik die Stufen hoch, damit seine Mutter nicht runter kam und sah, was er gemacht hatte. Das würde sie früher oder später sowieso zu Gesicht bekommen und sie würde auch sofort wissen, wer sich diese Schandtat schon wieder ausgedacht hatte. Aber im Moment hatte Erik keine Lust auf Erklärungen.

„Ich hab etwas verloren ...", dachte er sich eine Erklärung ad hoc aus.

„Vielleicht das hier?", fragte sie und hielt ihm die offene Hand hin. Darauf glitzerte ein kleiner Gegenstand. Erik kam näher, doch er ahnte schon, worum es sich dabei handelte.

„Das habe ich in der Waschmaschine gefunden. Lena gehört es nicht, deinem Vater sowieso nicht und mir kommt es auch unbekannt vor. Hast du es verloren?"

Erik schluckte. Jetzt würde er seine Mutter anlügen müssen. Aber er konnte ihr doch nicht sagen, von wo dieser Anhänger wirklich kam! Sie würde sofort denken, dass er eine Freundin hatte und dann, o ja, dann ging es richtig los. Sie würde das Mädchen sehen wollen, sie würde Erik ausquetschen, würde ihren Namen erfahren wollen ... Erik wusste, dass er dieses Fass nicht öffnen wollte. Zumal Leona nicht seine Freundin war.

„Ja, das habe ich gesucht. Es gehört Kristina ... Dario hat mich angerufen – sie hat es wohl bei meiner Geburtstagsparty verloren ...", sagte Erik. Diese Worte klangen in seinen Ohren sehr plausibel.

„Ach so."

Ein Hauch der Enttäuschung machte sich auf dem Gesicht seiner Mutter breit. Erik liebte sie – aber eine Tratschtante, wie sie eine war, hielt er es für besser, dass sie nicht alles wusste.

„Ich fahre nach ... nach der Arbeit vorbei und gebe es bei ihm ab ... also Dario ...", verhaspelte Erik sich und nahm ihr den Löwenkopf aus der Hand. Die Arbeit – er nannte die Sozialstunden am liebsten nicht beim Namen. Das gefiel allen besser, am besten Eriks Vater.

„Gut, mach das. Er ist aus Gold, seine Freundin wird ihn sicher vermissen. Was ich dir eigentlich sagen wollte: Es wird dann wohl ein bisschen später werden, bis ich aus dem Büro komme. Soll ich dir etwas von dem Auflauf im Kühlschrank lassen?"

„Ja."

Die Situation war richtig seltsam, als würden die beiden auf einem Boden voller Seifenlauge herumschlittern, immer aneinander vorbei gleiten und dabei versuchen, sich zu fassen zu bekommen. Es lag etwas in der Luft und Erik war sich absolut sicher, dass seine Mutter ihm die ach so plausible Erklärung nicht so richtig abkaufte. Sei es drum.

Er würde nach dem Müllsammeln im Park tatsächlich nicht direkt nach Hause fahren – er wollte bei Leona vorbeischauen. Er hatte die Wohnung am Freitag Hals über Kopf verlassen und das war keine gute Idee gewesen. Er musste mehr über den Lederjackenkerl herausfinden.

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