8 Funken der Einsamkeit
Ein Pfeifen.
Ein Fiepen.
Dann ein Knall.
Wie ein Regen aus Feuer lösten sich unzählige Funken und erhellten den Nachthimmel mit einer Mischung aus grünen und roten Licht. Sie verweilten nicht länger als ein paar Sekunden in dieser pusteblumenartigen Formation, bis sie ihren Weg zurück zur Erde antraten, jedoch nur wenige Wimpernschläge später schon verglüht waren. Zurück blieb nur eine undeutliche Staubwolke, die vom Mondlicht angestrahlt wurde und welche man wohl kaum erkennen könnte, würde man nicht die Augen zusammen kneifen.
Keinem schien jedoch diese Wolke aufzufallen, während Rufe hinauf zu dem Fenstersims hallten, die von einem erneuten Pfeifen gefolgt wurden.
Ein erneuter Knall.
Und wieder brachen aus dem winzigen Punkt hunderte von Funken hervor – diesmal Blaue.
Während alle Augen von unten auf das Feuerwerk über ihnen gerichtet waren, erkannte glücklicherweise niemand den jungen Mann, der mutterseelenallein auf dem Fensterbrett seines Büros saß und dem Spektakel zwar am nächsten war, ihm jedoch am wenigsten Beachtung schenkte.
Ja, Albus Dumbledore hatte andere Probleme und starrte mit glasigen Augen in die Ferne, wo vom kleinen Ort unterhalb der Schule ebenfalls leuchtende Raketen in allen Farben des Regenbogens in die Luft aufstiegen.
Während die Menge dort unten und vermutlich auch auf der ganzen Welt das Ende des vergangenen und den Anfang des neuen Jahres feierte, saß er einfach still da und ließ seine Gedanken schweifen.
Es war das erste Mal, dass er Silvester allein feierte – ohne sie.
Seine Familie.
Oder zumindest das, was davon noch übrig war.
Er fragte sich, ob Aberforth wohl auch allein irgendwo auf einem Dach oder Fenstersims eines schäbigen Apartments saß und an ihn dachte.
Die beiden Brüder hatten sich nach dem, was passiert war, für eine Weile voneinander entfernt, wenn nicht für immer.
Nur wenige Monate war es her, dass Albus sich mit seinem derzeit besten Freund gestritten und das Resultat daraus sein gesamtes Leben umgekrempelt hatte. Noch immer sah er ihre blasse Gestalt, ihren leeren Blick, wenn er die Augen schloss und ihr Schrei verfolgte ihn bis in seine Träume. Doch egal, wie sehr sein Geist ihn dazu zwang, das Grauen immer und immer wieder zu durchleben, so wusste er, dass sie nie zurückkommen könnte.
Ariana war tot.
Und es war seine Schuld.
Er hatte sich nicht zurück halten können. Als er den Zauberstab auf seinen Freund, Grindelwald, gerichtet hatte, war das Handeln des Anfang 20-Jährigen nicht mehr, als das eines trotzigen Kindes gewesen und es hatte das Leben seiner Schwester gekostet. Sie, die als Jugendliche ihr Leben lassen musste, weil sie ihren dummen, großen Bruder beschützen hatte wollen.
Albus spürte, wie sich seine Finger verkrampften und er den Kiefer anspannte. Obwohl er als neuer Lehrer dort unten bei seinen Kollegen und den Schülern, die über die Ferien im Schloss blieben, sein sollte, wäre dorthin zu gehen Verrat an Ariana. Denn mit dieser und seinem Bruder war er die vergangenen Jahre immerzu auf den höchsten Turm ihres Dorfes geklettert, um das Feuerwerk über der naheliegenden Stadt zu beobachten. Sie hatten gelacht und es war einer der wenigen Momente gewesen, wo sie sich wie eine Familie verhielten.
Nach seinem Schulabschluss war ihre verwitwete Mutter Kendra gestorben und so gab es nur noch die drei Geschwister aus dem Hause Dumbledore. Doch Albus anschließende Reisen mit Grindelwald hatten ihn selbst dann nicht viel Zeit mit seinen Geschwistern gegeben und so war es beinahe ein Wunder, dass sie am Jahresende immer zusammengefunden hatten.
Ein schwaches Lächeln schlich sich auf seine Lippen, als Albus sich an die gemeinsamen Stunden erinnerte, doch ebenso wie die leuchtenden Funken eines Feuerwerkes, verlosch dieses Lächeln nach kurzem.
,,Nun Professor, Sie haben mit Abstand den wohl exquisitesten Ausblick für eine solche Darbietung", erklang plötzlich die blecherne Stimme eines unerwarteten Besuchers neben ihm und Albus zuckte zusammen.
Als er sich umwandte, musste er ein paar Mal blinzeln, da die silbrig schimmernde Gestalt neben ihm in seinen Augen blendete. Dann schärfte sich sein Sichtfeld und er erkannte einen fein gekleideten Mann mittleren Alters, der es sich neben ihm auf dem Sims bequem gemacht hatte – oder eher gesagt darüber schwebte. Schließlich hatten Geister keinen materiellen Körper und bei dem Versuch, sich irgendwo hinzusetzen, würden sie ganz einfach durch den Stuhl hindurchgleiten.
,,Ich bin ehrlich gesagt nicht hier, um die Aussicht zu genießen", antwortete Albus wahrheitsgemäß und wandte den Blick wieder dem Nachthimmel zu, ,,Zum Nachdenken ist dieser Platz sehr gut geeignet."
Der Geist rümpfte die Nase und reckte das Kinn, was ihn noch mehr wie den überheblichen Adligen, Sir Nicholas de Mimsy-Propington, wirken ließ, der er war. ,,Festlichkeiten, wie diese, sind meiner erlesenen Ansicht nach eher darauf ausgerichtet, sich in der Gesellschaft zu bewegen, vielleicht auch mal ein Gläschen anzustoßen, solange es limitiert ist und sich in Grenzen hält."
,,Nur leider bin ich nicht in Stimmung, zu feiern." Obwohl Albus sich nicht gern allein fühlte, war ihm gerade so gar nicht nach Gesellschaft und er wünschte, dass Sir Nicholas sich mit der Zeit gelangweilt von ihm fühlen und verschwinden würde. Dieser blieb jedoch weiterhin neben dem Professor und schaute ihn schräg von der Seite an.
So kannte er Albus gar nicht. In seiner Schulzeit war er nach Gryffindor gegangen, wo Nicholas den Jungen bereits kennengelernt hatte, da er dort Hausgeist war. Der junge Dumbledore war in seinem Jahrgang sowohl einer der beliebtesten als auch einer der schlausten gewesen, weshalb die anderen Schüler geradezu darum rangen, mit ihm befreundet zu sein. Nie hatte man ihn ohne Begleitung irgendwohin gehen sehen.
Ihn jetzt so allein hier an einem solchen Ereignis zu sehen, war dem Geist befremdlich und er empfand Mitleid, da etwas eindeutig nicht stimmte.
,,Wie mir scheint, hat das vergangene Jahr es nicht sonderlich gut mit Euch gemeint. Seid Ihr nicht die bisherigen Weihnachtsferien immerzu heimgekehrt, um mit Eurer Familie zu zelebrieren?"
Dass der Geist diese Dinge über Albus wusste, war nicht absonderlich.
Als jahrhundertealte Seele, wurde es ihm von Zeit zu Zeit langweilig. Vor allem, da Nick nicht einmal sein Dasein damit vertreiben konnte, sich der Jagd der Kopflosen anzuschließen. Zwar hatte sein Leben damals mit einer Enthauptung geendet, doch da die Axt des Henkers nicht scharf genug gewesen war, hing sein Kopf auch in dieser Form an einem Stück Haut.
Noch immer schickte er alljährlich Briefe an Sir Patrick Delaney - Podmore, um ihn zu bitten, Nick doch auf seine Jadgritte einzuladen, doch von Jahr zu Jahr erhielt er nur Absagen. So hatte es Sir Nicholas sich stattdessen zur Aufgabe gemacht, Menschen zu studieren und ihre Geschichten in seinem Kopf zu speichern, um sich die Langeweile zu vertreiben.
Man könnte ihn fragen, wer Mikael Warren war, der vor zehn Jahren nach Hogwarts gegangen war und der Geist könnte einem einen Vortrag über diesen Schüler halten.
Albus seufzte und ließ den Kopf hängen. Was hatte er schon zu verlieren? Nicholas war im Moment der einzige, zu dem er sprechen konnte und vielleicht würde, sein Herz auszuschütten, ja dabei helfen, das Vergangene zu verarbeiten.
Schwerfällig beugte sich der Professor nach hinten und schloss die Augen. Sofort erschien wieder dieses Gesicht eines 16-Jährigen Mädchens. Den Mund zu einem stillen Schrei verzogen, der Blick tot und ohne Lichtpunkte, die auf dem blauen Ring um ihre Pupille herum reflektierten. Eine einzelne Träne schimmerte in ihrem Augenwinkel und rollte über die farblose Wange. Ihre Haare waren von einer lavendelfarbenen Schleife gehalten worden, die sich beim Laufen gelöst hatte, wodurch ihre blonden Locken nun, wie ein Schleier um ihr Gesicht lagen.
Stotternd brachte Albus die Worte heraus und musste sich dazu zwingen, weiterzureden, denn die Stimme verließ ihn und wurde heiser.
,,Vor drei Monaten hatte ich einen Streit mit einem alten Freund, der nicht ganz friedlich verlaufen ist. Kaum hatten wir unsere Zauberstäbe gezückt, schickte er schon die ersten Flüche und ich war zu dumm, um den Kampf zu beenden. Stattdessen feuerte ich ihn auch noch an, provozierte ihn.
Letztlich ging alles so schnell: Mein Bruder kam dazu und unterstützte mich. Er hatte mir immer davon abgeraten, mich weiter mit meinem Freund zu treffen. Er wollte, dass ich zuhause bleibe – bei ihm und unserer Schwester", ein Schauer lief Albus Rücken herab und erfasste jeden Wirbel, sodass er zitterte. Noch nie hatte er es laut ausgesprochen und nun, wo er es selbst hörte, wurde ihm erst klar, wie ignorant und selbstsüchtig er gewesen war.
Die Wut auf sich selbst drängte sich zur Seite und teilte sich den Platz mit einer anderen Emotion. Hass.
Aus Reflex hob Nick die Hand, um dem jungen Professor mitleidig auf die Schulter zu klopfen, als er in dessen blauen Augen das Aufblitzen von Abscheu erkannte, doch dann fiel ihm wieder ein, dass er ja gar nichts anfassen konnte – zumindest nichts aus der lebendigen Ebene.
In seiner eigenen - der Geisterebene – war es ihm möglich, anderen Geistern die Ohren langzuziehen, doch in der Ebene, in der Albus sich befand, war er unfähig, etwas zu tun.
Für die Menschen dort war er lediglich ein ausgewaschenes Abbild seiner selbst und abgesehen von den durchschimmernden, silbernen Konturen und der faden Stimme, war er für die lebende Welt nicht mehr als ein kühler Lufthauch.
Inzwischen hatte sich Albus wieder gefangen und atmete tief durch, um seine Erzählung fortzusetzen.
,,Sie wollte uns unterbrechen - dafür sorgen, dass wir aufhörten, zu kämpfen. Doch dann...", er presste die Lippen zusammen und blinzelte, um die Tränen zu vertreiben, die sich in seinen Augen gesammelt hatten, ,,Wir wissen nicht, wer es war, der den Fluch abfeuerte, der sie traf, doch sie starb."
Erleichterung durchflutete ihn, als er zu Ende erzählt hatte, doch das flaue Gefühl und der Hass auf sich selbst blieb zurück. Immerhin hatte er es jetzt hinter sich gebracht und musste nicht weitersprechen.
Entgegen seiner Natur hatte Nick die ganze Zeit über tonlos da gesessen und Albus nicht unterbrochen, als dieser sprach.
Die Geschichte des Mädchens erinnerte ihn zunehmend an seine eigene. Auch er hatte damals nur helfen wollen und war dafür bestraft worden.
Sogleich spielte sich das Szenario vor seinen Augen ab, wie eine völlig aufgelöste Lady Grieve an seiner Zimmertür klopfte und ihn bat, ihr entstelltes Gesicht zu richten. Die Ärmste wurde von den grässlichsten Pferdezähnen geplagt, die man sich vorstellen konnte.
Da Sir Nicholas ein herzensguter Mensch gewesen war (und sich nebenbei auch ein wenig Anerkennung der Dame erhoffte), erklärte er sich dazu bereit.
Nur leider ging der Zauber schief und ehe er es rückgängig machen konnte, wurden sie erwischt und er der Hexerei beschuldigt in den Kerker geworfen. Dort schmorrte er anschließend ganze acht Tage und wurde ohne Prozess zum Tode verurteilt. Nicht einmal seine Familie hatte sich darum geschert, was aus ihm wurde. Zu sehr war ihre Aufmerksamkeit zu dieser Zeit auf die Rosenkriege der englischen Thronfolge gerichtet gewesen.
Nach seiner Verhaftung hatte man ihm nicht einmal einen schnellen Tod gegönnt, weshalb er in großer Peinlichkeit insgesamt 45 Hiebe der Stumpfen Axt seines Peinigers aushalten musste, bis ihn das Leben verließ und er als Geist Jahrhunderte lang herumirrte, nicht in der Welt der Lebenden, doch ebenso nicht völlig im Totenreich.
Während seine Gedanken in diese Zeit schweiften, ließ er die Schultern hängen und als er eine gebeugte Haltung einnahm, stand die Welt plötzlich auf dem Kopf.
Ihm entfuhr ein enttäuschtes Stöhnen, was Albus dazu veranlagte, zur Seite zu schauen. Trotzdem er wusste, was für ein Mühsal es für Nick war, dass sein Kopf nur fast getrennt vom Hals war und nur eine viel zu große Halskrause dafür sorgte, dass er nicht an der Seite baumelte, musste Albus bei dem Anblick schmunzeln.
Seine Augen blitzten auf und er zog die Mundwinkel hoch.
Nick hatte derweil seinen Kopf wieder befestigt und war vor Wut und Scham silbern angelaufen. Doch als er das Grinsen auf dem Gesicht des Braunhaarigen sah, verflog beides und er ließ sich ebenfalls zu einem Lächeln herab.
Eine Rakete ließ nicht weit von ihnen eine rote Blume in die Luft steigen und Albus schaute auf, bis sein Blick hinunter zu der Schülermenge, die unter lautem Jubel den Feuerregen bestaunte, glitt. ,,Nick, warum bist du nicht dort unten, um mit zu feiern?"
Verblüfft über diese Frage folgte Nicholas seinem Blick und zuckte anschließend die Schultern. ,,Ich wandele nun schon länger als 400 Jahre als Geist durch die Mauern von Hogwarts. Einmal die Neujahrsfeierlichkeiten zu versäumen, ist sicher keine Sünde. Außerdem waren die Festivitäten der Vergangenheit sehr viel prunkvoller: Blumen, Kostüme und das Buffet... Du meine Güte, was war das für eine Zeit."
Zwar schwelgte Nick in diesen Erinnerungen und es sähe ihm ähnlich, einer Feier wegen zu hoher Ansprüche nicht beizuwohnen, doch innerlich wusste er, dass er nicht mit dort unten war, weil er es nicht ertragen konnte, dass jemand allein in einer Ecke im Schloss saß.
Er selbst kannte das Gefühl von Einsamkeit – er hatte es über 400 Jahre ertragen müssen und er wollte anderen solche Dinge ersparen und sie nicht sich selbst überlassen. ,,Aber es kommt, wie es kommt, nicht wahr? Man sollte das Beste aus dem Moment machen."
Ein kurzes Schweigen entstand zwischen ihnen, bis der Professor es durchbrach.
,,Danke", Albus senkte den Blick und erneut erschien dieses Schmunzeln, ,,Für den Rat und die Gesellschaft."
Nick winkte mit einer wegwerfenden Handbewegung ab, doch Albus konnte aus dem Augenwinkel an der Art, wie die Mundwinkel des Geistes zuckten sehen, dass er lächelte. Jedoch wollte er ihn nicht in Verlegenheit bringen und die vertraute Stimmung zwischen ihnen zerstören, weshalb er ihn nicht darauf ansprach.
Anstelle dessen drehte er das Gesicht nun mit einem seligen Ausdruck wieder dem Himmel zu.
Seine Augen richteten sich in die Ferne.
Dann ein Pfeifen.
Ein Fiepen.
Ein Knall.
Und über ihnen ergoss sich ein Schauer aus Licht und vielleicht war es endlich und würde erlöschen, doch für den Moment genoss Albus einfach den Augenblick, in dem er nicht allein war und die Schönheit, als die goldenen Funken mit den Sternen um die Wette schimmerten.
MagicalContest
2256 Wörter
•○•○•
Tja... das wars...
Der Contest ist schneller vorbei gewesen, als erwartet und es wird eine Umstellung werden, die Sonntage wieder freizuhaben. ^^
Obwohl die Auswertung noch nicht zu Ende ist, möchte ich mich jetzt schon dafür bedanken, dass ich teilnehmen durfte. Danke an meine Mitstreiter, die mitgeschrieben haben (obwohl es immer weniger geworden sind o.o) und auch an die Jury für eure Mühe und Zeit, die Beiträge auszuwerten und Aufgaben zu erfinden (bzw. uns an den Rand des Wahnsinns zu treiben). Vielleicht liest man sich ja mal wieder.
Bis dahin habt eine zauberhafte Zeit.
~Anni
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