Seltsame Symbole und rote Striemen
Die Schnitte in meiner Hand brannten und meine vor Tränen geschwollenen Augen sahen nur verschwommen die Straße. Doch den Weg würde ich sogar im Schlaf gehen können.
Diesen Weg, den ich fast jeden zweiten Tag ging und auf dessen Rückweg mir jeder Schritt schwerer fiel.
Die düstere Gasse kam mir schon lange Zeit vor ihrem Erreichen ins Blickfeld. Diese Gasse, die fast niemandem auffiel, welche aber für mich ein Ort einer gewissen Sicherheit war.
Um schneller zu ihr zu gelangen beschleunigten sich meine Schritte. Inzwischen rannte ich schon fast.
Die pochenden, roten Striemen in meiner Hand trachteten nach Erlösung.
Auf der Straße wäre ich beinahe noch von einem Auto erwischt worden. Der Fahrer hupte wie verrückt, fuhr aber weiter. Durch das laute Signal zuckte ich erschrocken zusammen. Hastig überquerte ich die Straße.
Auf dem Rücksitz des Autos saß ein kleiner Junge. Vielleicht fünf Jahre. Vorne auf den Sitzen saßen seine Eltern.
Der Kleine lachte.
Als er vorbei fuhr hob er den Blick und grinste mich an. Normalen Menschen hätte dieses Kinderlächeln das Herz erwärmt, mir jedoch bereitete es Stiche und ließ mir erneut die Tränen ins Gesicht steigen.
An solch ein Lächeln meinerseits konnte ich mich beim besten Willens nicht erinnern. Meine Gefühle nahmen so gut wie nie den Ausdruck von Freude an. Dies konnte wohl an meinem allgemein traurigen Leben liegen. So lange ich denken konnte, hatte mir nie jemand Liebe entgegen gebracht und das obwohl sie sich ein Herz genommen hatte und mich adoptierte. Jedoch bin ich mir nicht sicher, ob es mir nicht besser im Waisenhaus ergangen wäre.
Dafür sprachen beispielsweise diese Verletzungen in meiner Handfläche, dessen Auslöser dafür ich immer bei mir trug. Eng um meinen mageren Körper geschnallt und dafür zuständig, dass mir die ausgeleierten Hosen nicht von den Hüften rutschten.
Ich - Credence Barebone - war ein Waisenkind. Mein Nachname gehörte nicht mir und ich lebte mit ein paar anderen Kindern in der Obhut von Mary Lou Barebone. Einer Frau, deren Loyalität dem 2. Salem angehörte und die somit eine Verachtende der Zauberei und Magie war. Einige bezeichneten sie als Spinnerin, da sie an solche Dinge glaubte, doch sie hatte Recht. Hexen und Zauberer lebten unter uns. Meine verehrte Frau Mama hielt sie für Monster und beteuerte jeden verdammten Tag, dass die Magier eines Tages ins Licht treten würden um die gesamte Welt unter ihre Kontrolle zu bringen. Sie hielt sie für potentiell gefährlich - und ich war gerade auf dem Weg zu einem.
Die dunkle Gasse hatte sich nach wie vor nicht verändert, als ich sie betrat. Einige Obdachlose hatten vor langer Zeit ihre Lager hier aufgeschlagen und Kisten mit ausgeblichenen Decken auf dem schmutzigen Boden hinterlassen. Sie waren schon lange weiter gezogen, da es in der Gasse selbst im Sommer sehr kalt war und durch die hohen Häuser kein Licht hier hinunter dringen konnte. Auch die Anwesenheit des Mannes welcher nun wenige Meter vor mir auftauchte, hatte sie womöglich verscheucht. Mr. Graves. Bei seinem Anblick vergas ich für wenige Augenblicke die Schmerzen in meiner Hand, in dem Wissen, dass sie sowieso bald ein Ende finden würden.
Dennoch fuhr ich zusammen und richtete meine Augen auf den gepflasterten Boden, als er anfing zu sprechen.
,,Hast du das Kind gefunden?", wollte er wissen und kam auf mich zu. Betreten schüttelte ich den Kopf. Es tat mir leid ihn zu enttäuschen. Er tat so viel für mich, dass mein Tun beinahe keine Bedeutung im Vergleich zu seinem war.
Ich wusste, dass er enttäuscht war über mein erneutes Versagen, doch er ließ es sich nicht anmerken und erkundigte sich stattdessen mit einem Blick nach meiner Hand. Als ich ihm keine Reaktion entgegenbrachte, trat er noch einen Schritt auf mich zu: ,,Zeig's mir."
Widerwillig ließ ich meine Hand von ihm inspizieren. Vor Schmerz, der nun wieder von ihr ausging, begann ich zu zittern.
Mr. Graves sprach ein paar beruhigenden Worte, die ich aber kaum wahrnahm, da ich fasziniert die Auswirkung seiner Hand auf meiner beobachtete. Die roten Striemen wurden unter seiner Berührung blasser, bis sie letztlich ganz verschwanden.
,,... ich will, dass du das hast. Ich vertraue dir", sprach er und zog eine Art Kette aus seinem Mantel. Er legte sie mir an und ich besah das Schmuckstück. Es war ein langes Lederband, an dem ein seltsames Zeichen aus Silber gehängt war. Es war ein Dreieck in dem ein Kreis, welcher von einem Strich geteilt wurde, lag. Ich hatte es noch nie gesehen.
,,Du bist anders Credence", sprach Graves nun und nahm mein Gesicht in seine Hände, ,,Wenn du das Kind findest, berühre das Symbol und ich werde zu dir kommen."
Das klang eindeutig nach Zauberei. Was würde passieren, wenn Mama diese Kette in die Finger bekommen würde? Könnte sie herausfinden, dass es mit Magie gefüllt war? Wenn sie mich mit so etwas erwischen würde, bezweifelte ich, dass ich mit ein paar Schnitten in der Hand davon kommen würde. So wie ich Ms. Barebone kannte, würde sie mich kurzerhand umbringen.
Mr. Graves schien mit seiner Ansprache noch nicht fertig zu sein: ,,Tu' es Credence und dir wird Verehrung in der Zaubererwelt gezeugt werden. Für immer..."
Diese Worte waren so voller Ehrlichkeit, dass es mir unmöglich war, sie nicht zu genießen. Wenn ich das Kind fände, würde ich in diese Welt aufgenommen werden. Eine Welt - besser als jene, in der ich lebte eine Welt - ohne Schmerz oder eine Adoptivmutter, die einen mit Schlägen des eigenen Gürtel bestrafte und dafür müsste ich einfach nur ein Kind finden, das womöglich irgendwo mit mir unter einem Dach lebte.
Ein Funken Hoffnung keimte in mir auf.
Ich sah Mr. Graves an und sein Mundwinkel zuckte. Er beugte sich ein Stück zu mir und umarmte mich.
In diesem Augenblick hoffte ich, dass die Zeit hier und jetzt stehen bleiben würde, jetzt in diesem Moment.
Doch sie verging viel zu schnell und er löste sich von mir. Sogleich ergriff mich die Kälte der Gasse wieder.
Warum hatte er aufgehört? Mr. Graves war die einzige Person, die mir jemals Zuneigung entgegen gebracht hatte. Es gab Momente, da war er wie ein Vater für mich. Ich sehnte mich nach seinen Armen, in denen ich mich sicher fühlte. In denen mir meine Ma' nichts antuen konnte.
Doch Graves war bereits die Gasse entlang gelaufen. Er drehte sich noch einmal um und betrachtete mein abgemagertes, mitleidserregendes Selbst. ,,Unsere Zeit läuft ab, Credence", sprach er laut und es sollte mir bedeuten, dass ich mich beeilen sollte, das Kind zu finden. Dann verschwand er und ließ mich allein in der dunklen Gasse zurück. Ein paar Ratten tummelten sich an der Hauswand, doch sonst war ich allein.
Behutsam ließ ich die Kette unter mein Hemd gleiten, damit es niemand sehen konnte und machte mich dann auf den beschwerlichen Weg, zurück zu Ma's Haus.
Inzwischen hörte ich die Glocken in der Ferne, die sieben Uhr tönten und mir wurde bewusst, dass es bereits viel zu spät war.
Mir dessen sicher, was mich gleich erwarten würde, schlurfte ich die Straßen entlang und löste vor der Haustür schon mit pochenden Handflächen meinen Gürtel...
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Com