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VI. Fünftausend Mark

Berlin-Lichtenberg, 1994.


Die Feiertage waren am schlimmsten, wenn ein Familienmitglied fehlte. Dennoch zog Maria es wacker durch, Jahr für Jahr für Jahr. Seit einiger Zeit endlich wieder zusammen mit Thomas. Sie feierten jeden Geburtstag: den von Nadine, den von Christoph – und den von Leonie. Obwohl sie nicht dabei war. Es gab eine Torte und ein Geburtstagslied. Sie feierten Ostern und Weihnachten. Und letztendlich auch Sylvester und das, obwohl es ihr jedes Mal das Herz zerriss.

Es war der erste Januar und Maria hatte es wieder überstanden. Den letzten Jahreswechsel, den sie gemeinsam mit Leonie gefeiert hatten, war gleichzeitig das erste Fest gewesen, an dem Leonie bis Mitternacht hatte aufbleiben dürfen, um sich draußen das Feuerwerk anschauen zu können. Und es war das erste Mal, dass sie nach achtzehn Uhr noch Vita Cola, den Ost-Verschnitt des westlichen Produkts, hatte trinken dürfen. Hätte Maria gewusst, dass es ihr letztes gemeinsames Sylvester werden würde, hätte sie ihrer Tochter eine ganze Kiste von der pappsüßen Brause hingestellt.

Es war neun Uhr an diesem milden Morgen und alle schliefen noch – bis auf Maria. Sie hatte schon immer einen eher leichten Schlaf gehabt, doch seitdem man ihr die Tochter weggenommen hatte, war es noch schlimmer geworden. Wenn sie mal vier Stunden durchschlafen konnte, war sie froh. Doch die Stille, wenn alle noch im Land der Träume schwelgten, war genauso wenig auszuhalten, wie im Bett zu liegen. Denn dann spielten die Gedanken ihren eigenen Film und der war grausam. Er zeigte eine Jugendliche mit dunkelblonden Haaren, die bei einer fremden Familie aufwuchs und sich Tag für Tag fragte, warum ihre Mutter das mit einer einzigen Unterschrift möglich gemacht hatte.

Um die Filmrolle dieses schrecklichen Streifens zu zerreißen, griff Maria zu der Zeitung von letzter Woche. Ihr Mann las die ganzen Schmierblätter so gut wie immer, sie eher selten. Nur dann, wenn sie sich mal wieder richtig schön aufregen wollte. Seit 1992 war immer mehr ans Licht gekommen, gerade was die Stasi-Akten anging. Aber diesmal entdeckte Maria etwas, bei dem sie sich einerseits dafür verfluchte, die Zeitung in die Hand genommen zu haben und andererseits dankbar deswegen war.

Es war die Schlagzeile: Ehrung von Schulleiter Dr. Wanner. Wie bitte? Hatte sie richtig gelesen? Oder brauchte sie wirklich schon mit ihren dreiunddreißig Jahren eine Lesebrille? Sie hielt sich die Zeitung noch näher vor die Augen, doch die Buchstaben blieben dieselben, in derselben Anordnung: Für sein großartiges Engagement und seinen Einsatz für soziale Gleichberechtigung bei der Förderung aller Schüler wurde Herr Dr. Wanner am vergangenen Samstag von Oberbürgermeister Dr. Gartner geehrt. In einem Festakt wurde dem Schulleiter neben einer Urkunde auch ein Scheck über 10.000 DM überreicht, mit dem weitere geplante Projekte wie die Neugestaltung des Pausenhofs und der Anbau für Vorschüler unterstützt werden sollen.

Ein Foto war auch abgebildet, ironischerweise war an der Stelle von Wanners Gesicht ein Kaffeefleck. Thomas war der größte Tollpatsch auf diesem Planeten, doch diesmal hatte er wenigstens das richtige Gesicht getroffen. Was die Sache aber nicht weniger schlimm machte, denn voller Grauen stellte Maria sich die maskenhafte Visage vor. Diese abstoßende Fratze voller falscher Jugendlichkeit, voller verlogener Güte, eingerahmt von scheinheiligen Engelslöckchen. Dieser Teufel, der eine Unterschrift erpresst hatte, der die Familie Kamp zerrissen hatte ... Er sollte in der Hölle schmoren, doch stattdessen bekam er Ehrungen und Geld. Wo war da die Gerechtigkeit?

Später würde Maria nicht mehr sagen können, ob dieser kurze Artikel ausschlaggebend dafür war, was im Nachgang passieren sollte. Denn es brodelte die ganze Zeit schon in ihr. Und der Name war ihr nie mehr aus dem Kopf gegangen. Wanner. Einer, der auch bloß Befehle von oben ausführte, einer der das alles doch überhaupt gar nicht wollte? Es war egal, denn er hatte Maria das Formular vorgelegt, er hatte sie so unter Druck gesetzt, dass sie letztendlich gar nicht mehr anders gekonnt hatte, als zu unterschreiben. Und Leonie war verschwunden, und das vielleicht für immer. Es war, als würde Maria die Nadel suchen, die Wanner in den Heuhaufen geworfen hatte.

Doch jetzt drehte sich der Wind. Und Maria wollte nichts mehr, als endlich Gerechtigkeit zu haben. Und wenn die nicht in Form von Leonies Rückkehr zur Familie stattfinden würde, dann eben mit einer Jagd auf Wanner. Und wenn nicht die Justiz dafür sorgen würde, dass ein Verbrecher wie der werte Herr Doktor zur Rechenschaft gezogen werden konnte, dann musste Maria es in die Hand nehmen. Hass und Rache waren zweieiige Zwillinge. Sie sahen sich nicht zum Verwechseln ähnlich, aber ihr Ursprung war doch derselbe: Verletzung.

Marias Herz klopfte schneller, als sie zu der dunkelbraunen Kommode ging, die neben der Wohnzimmertür stand. Alles war noch ruhig. Leise öffnete sie die schrecklich quietschende Tür. Unter den guten Tischdecken lag ein Umschlag, von dem niemand etwas wusste. Auch Thomas nicht. Und er würde auch nie auf die Idee kommen, hier zu suchen. Maria hatte den papiernen Umschlag seit der unrechtmäßigen Verurteilung ihres Mannes immer wieder gefüttert. Für schlechte Zeiten. Oder für die Wiederherstellung des Gleichgewichts. Rund fünftausend Mark befanden sich darin. Das würde reichen, für das, was sie vorhatte. 

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