4.3. Das »Genie«
Figuren, die bei Lesern ziemlich gut ankommen oder als »cool« angesehen werden, sind zu etwa 50 % welche, die überdurchschnittlich intelligent sind oder ein extrem gutes strategisches Denken haben. (Die anderen 50 % bestehen aus krassen Kriegern oder Magiern, naiven oder unschuldigen/missverstandenen Figuren, mit denen man Mitleid hat oder mitfühlt, und Antagonisten, aber um die soll es jetzt nicht gehen.) Jedenfalls ist es für einen Autor eine ziemlich große Herausforderung, eine Figur, die schlauer ist als man selbst, im Buch gut darzustellen.
Die größte Schwierigkeit bzw. Hürde ist einfach dieser Unterschied in der Intelligenz.
An dieser Stelle ein kleiner Hinweis: Es gibt verschiedene Arten von Intelligenzen. Eure Noten in der Schule sagen nichts darüber aus (und allgemein finde ich persönlich das ganze deutsche Schulsystem zum Kotzen). Genauso wenig sagen euch Intelligenztests etwas über euren IQ. Sie wurden auch nur von durchschnittlich intelligenten Menschen entwickelt und werden deswegen ungenauer, je höher eure getestete Intelligenz ist. Ich schreibe »getestete« Intelligenz, weil in diesen IQ-Test meistens nur auf euer mathematisches Können und euer logisches Denken eingegangen wird. Dabei gibt es auch eine künstlerische Intelligenz, eine soziale, eine sprachliche und noch viele, viele, viele, viele mehr! Gebt einem Mathematiker ein Buch, das er ins Chinesische übersetzen soll. Das wird er nicht hinkriegen. Ein Dolmetscher allerdings schon. Wer ist jetzt intelligenter? Das kann man nicht so einfach sagen.
Jedenfalls kann es passieren, dass ihr eine Figur in eurem Buch haben wollt, die um einiges schlauer ist als ihr. Die also z.B. einen Plan hat, in dem die Schritte des Gegners schon mit eingeplant und erwartet sind, oder die so gut mit Worten umgehen kann, dass sie mit nur ein paar Sätzen jemanden von etwas völlig Verrücktem überzeugen kann.
Das Einzige, was da hilft, ist stundenlanges Nachdenken und Grübeln. Das ist eigentlich die einzige Möglichkeit, wie ihr so eine höhere Intelligenz »simulieren« könnt. Eure Figur ist vielleicht innerhalb von wenigen Sekunden auf eine geniale Idee gekommen, aber ihr selbst brauchtet mehrere Tage, um diese Idee für diese Figur zu erfinden.
Es hilft enorm, wenn ihr euch die Ausgangssituation auf einen Zettel aufzeichnet oder aufschreibt und euch dann vorstellt, ihr hättet alle Zeit der Welt, um euch einen perfekten Plan auszudenken, wie ihr an das Ziel eurer Figur kommt. Überlegt an Stelle der Figur, was passieren könnte, wenn ihr das und das macht. Wer würde davon erfahren? Wer würde davon profitieren? Was würde der und der machen? Wie könntet ihr dann darauf reagieren? Praktisch wie ein Schach-Spiel, nur komplizierter, weil ihr keine wirklichen Regeln habt, an die ihr euch halten müsst (außer halt an die Regeln eurer Welt).
Es ist auch immer wieder gut, einen Plan B auf Lager zu haben. Das haben solche intelligenten Figuren normalerweise. Schließlich gehen sie alle Möglichkeiten durch und wissen genau, dass es sein kann, dass ihr ursprünglicher Plan nicht funktioniert. Meistens gibt es auch mehr Pläne als nur Plan A und Plan B. Im schlimmsten Fall kommt das Worst Case- Szenario zum Einsatz. Auch darauf muss eure Figur vorbereitet sein. Außerdem muss sie wissen, wie sie unauffällig an die Informationen kommt, die sie noch braucht. Je nach Moral eurer Figur können dann auch mal ein paar Informanten sterben, damit sie nichts verraten.
Denkt daran, dass eine Figur, die WIRKLICH schlau ist, sich meistens immer im Klaren ist, dass es auch Figuren gibt, die schlauer als sie sein könnten. Sie würde nie auf die Idee kommen, andere zu unterschätzen und deswegen dumme Fehler zu machen, »weil die anderen das ja sowieso nicht bemerken würden«. Sie wird für jeden möglichen Fehler eine gut durchdachte Erklärung parat haben. Das gehört auch dazu.
So ganz nebenbei: Wirklich korrekte intelligente Leute geben aus oben genanntem Grund auch nie mit ihrer Intelligenz, welcher Art auch immer, an. Sie sind ziemlich bescheiden. Ich habe zum Beispiel nie davon gehört, dass Einstein sich vor ein Rednerpult gestellt und dann geschrien hat: »Kniet alle vor meiner Intelligenz!!!!!!« Wenn sie wirklich überdurchschnittlich intelligent sind, brauchen sie das nicht zu sagen. Die anderen werden das schon so merken. Einige wissen nicht mal, dass sie schlauer sind als der Durchschnitt. Meistens kommen sie sich dann komisch oder fehl am Platz vor und werden schnell abgelenkt, wenn ihnen langweilig ist, zeigen es aber meistens nicht.
Weiterer Fun Fact: Überdurchschnittlich intelligente Frauen neigen dazu, sich den anderen Leuten, die sie umgeben, anzupassen, weil sie sonst mit niemandem reden könnten. Ist zwar nicht ganz gesund, aber was soll man machen. Überdurchschnittlich intelligente Männer hingegen gehen meistens ihren eigenen Weg, weil sie sich dann nicht ausgebremst fühlen. Ist zwar auch nicht ganz gesund, weil man dann häufig alleine und zurückgezogen ist, aber naja.
Kommen wir zurück zu den »Genie«-Figuren. Die oberen Beispiele waren eher für Figuren, die möglichst unauffällig im Hintergrund agieren oder krasse Strategen mit phänomenalen Plänen sind. Es gibt aber auch die Figuren, die gute Redner sind und praktisch jeden alleine mit ihren Worten überzeugen können. Das geschieht meistens in einem Dialog oder einer größeren Diskussion.
Wie man gute Dialoge schreibt, werde ich auch noch erklären. Ein Dialog, in dem eine überdurchschnittlich intelligente Figur mitredet, ist aber die Crème de la Crème und extrem schwierig zu schreiben. Auch hier gilt: Macht euch BEVOR ihr den Dialog schreibt, Gedanken darüber, was die anderen Figuren sagen könnten, welche Argumente eure Figur hat und wie sie und die anderen auf gesprochenen Sätze reagieren könnten. Bei wem ist schon im Vorhinein klar, dass derjenige Schwierigkeiten bereiten könnte? Wer ist leichter zu überzeugen? Wen kann man schnell und leicht auf die eigene Seite ziehen? Eines ist jedenfalls klar: Mit Zwang und harten Worten erreicht man nichts. Wirklich schlaue Leute schaffen es, andere von ihrem eigenen Standpunkt zu überzeugen, ohne dass die anderen es merken.
Ein wichtiges Schlagwort dazu ist Rhetorik, die Kunst des Redens (war im antiken Griechenland und Rom sogar ein Pflichtfach für diejenigen, die sich einen privaten Lehrer leisten konnten). Das meiste davon werde ich euch im Kapitel zu den Dialogen vorstellen, aber ihr könnt euch notfalls jetzt schon darüber informieren. (Ist übrigens auch ziemlich hilfreich für eure Zukunft und so.)
Dann gibt es die Figuren, die allerlei Sachen erfinden. Hier hilft auch nichts anderes als stundenlanges Nachdenken. Wo in eurer Welt gibt es technologische (oder magische) Lücken, die noch gefüllt werden müssen? Es ist nicht mal wichtig, ob eure Figur die Ressourcen dafür zu Verfügung hat. Schließlich hat Leonardo da Vinci auch allerlei Flugapparate aufgezeichnet und deren Funktion beschrieben, obwohl er wusste, dass er sie mit der damaligen Technologie nicht umsetzen konnte. Zu jeder Erfindung gehören viele Experimente. Praktisch nichts funktioniert auf Anhieb perfekt (egal, wie intelligent eure Figur ist). Das Tolle an Erfindern ist, dass sie völlig ungewöhnliche und teilweise verrückte Gedankenwege haben, durch die sie aber auf die revolutionärsten Ideen kommen. Gebt euch also Mühe beim Nachdenken!
Als Übung könnt ihr sonst einfach selbst versuchen, etwas zu erfinden. Denkt an ein Problem aus eurem Alltag und wie ihr es lösen könntet, wenn ihr alle möglichen Ressourcen zur Verfügung und alle Zeit der Welt hättet. Fertigt Zeichnungen an, schreibt kurze Erklärungstexte usw. Früher als Kleinkind hat man sowas ziemlich häufig gemacht, aber die Schule hat das einem (aus irgendwelchen Gründen) ausgetrieben, was wirklich ziemlich traurig ist. Traut euch einfach was und schei*t drauf, wenn andere über eure Ideen lachen! Als erstmals gesagt wurde, dass Menschen irgendwann Schiffe bauen könnten, mit denen man über den Pazifik fahren kann, haben auch alle gelacht. Und jetzt? Wir haben sogar Schiffe, die in den Weltraum fliegen!
Wie bereits gesagt, gibt es verschiedene Arten von Intelligenz. Ich habe jetzt nur zu einigen Wenigen etwas Ausführlicheres geschrieben, aber grundsätzlich gilt bei jeder: Stundenlanges Nachdenken hilft! Nicht aufgeben!
Auch hier habe ich ein paar Beispiele für ziemlich gut gelungene intelligente Figuren aus Büchern:
SPOILER ZU WARRIOR CATS STAFFEL 3!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Ich rede hier von Sol, dem Kater, der den SchattenClan mit praktisch nichts als Worten von der Nichtexistenz des SternenClans überzeugt hat (einige Katzen jedenfalls). Wenn man bedenkt, dass er praktisch gar nicht oder nur seeeehr schlecht kämpfen kann, ist das eine beachtliche Leistung! Allgemein ist er eher ein Kämpfer mit Worten. Das sieht man allein schon daran wie er mit den Anführern und den Hauptfiguren der dritten Staffel (besonders Häherfeder) redet. Er hat seine Argumente, trägt sie sachlich und glaubwürdig vor und benutzt allgemein sehr viel Rhetorik, um die anderen zu überzeugen. Das alles sind Gründe, aus denen ich ihn als Antagonisten mehr mag als z.B. Dunkelschweif, der den ganzen Mist eigentlich nur mit grausamer Brutalität durchgezogen hat...
SPOILER ENDE!!!!!!!!!!!!!
SPOILER ZU DEN SHERLOCK HOLMES-BÜCHERN!!!!!!!!!!!!
Ja, es geht um Sherlock Holmes. Eine ziemlich interessante, intelligente Figur, denn er weiß nicht alles! Es wird mehrmals erwähnt, dass er alltägliche Dinge nicht weiß, weil er sie einfach für unwichtig erachtet. Seine Stärke liegt in der Deduktion. Er beobachtet also seine Umgebung oder die Person, die vor ihm steht, nimmt die kleinen, interessanten Details auf und benutzt sie, um zu einem (mit großer Wahrscheinlichkeit) richtigen Schluss zu kommen. Jetzt stellt euch einmal vor, er wäre kein Detektiv, sondern ein Verbrecher. Wie viel Unheil könnte er anrichten! O.o
SPOILER ENDE!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
SPOILER ZU »DER DUNKLE WALD« VON CIXIN LIU!!!!!!!!!!!!!!
Die Chinesen verstehen sich wirklich gut darauf, Figuren in ihren Büchern zu beschreiben, die sozusagen einen Kampf der Intelligenzen entfachen. Ich habe mir einfach eines meiner Lieblingsbücher rausgepickt. Hier gibt es so viele intelligente Figuren, Schachzüge und »Gehirn-Kämpfe«, dass ich sie unmöglich alle aufzählen kann. Es gibt eine Figur, die bis ins kleinste Detail ausgearbeitet hat, wie sie eine Gruppe von Leuten töten kann, sodass es wie ein Unfall aussieht. Einige andere finden trotz vieler Täuschungen und Verheimlichungen heraus, was ihre Gegner in Wirklichkeit vorhaben und lassen ihre Pläne auffliegen. Das Beeindruckendste passiert am Ende des Buches in Form eines heftigen Dialog-Kampfes. Ich glaube, ich hatte noch nie so viel Angst vor irgendeiner Kampfszene wie vor diesem Dialog XD
SPOILER ENDE!!!!!!!!!!!
Ich hoffe, ich konnte euch helfen :)
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