Kapitel 6 - Tattoo On My Brain
[Tattoo on my brain - Bastian Baker]
Auf dem Weg zu meinem Hotel erzählen Shawn und ich uns Geschichten von früher. Über Peinlichkeiten, Insider mit unseren besten Freunden und die Schulen, die wir besucht haben. Ich lerne viel über Shawn, zum Beispiel auch, dass er gerne singt und sein bester Freund Matt und er während ihrer Schulzeit unheimlich gerne Streiche gespielt haben. Natürlich immer nur harmlose und witzige Streiche, solche die niemanden verletzt haben.
Als wir vor dem Hotel halten und aussteigen, scheint Shawn ein bisschen nervös zu werden. Ich verstehe es, schliesslich könnte ich ihn entführen und ermorden, ohne dass es jemand mitbekommt. Nicht dass ich das geplant habe. Ich muss ehrlich gesagt aber auch zugeben, dass ich ebenfalls nervös bin. Es ist schliesslich nicht ausgeschlossenen, dass Shawn ein Ed-Fangirl ist und ausflippen wird oder dass er schwul ist und sich unsterblich in meinen Bruder verliebt. Dann wird Shawn wohl an einem gebrochenen Herzen sterben, da Ed glücklich vergeben ist. Es macht mich auch ein bisschen nervös, dass er der erste Junge ist, den ich je nach Hause bringe. Abgesehen von meinem Kindergartenfreund Kenny, der zählt aber nicht. Gott, ich hoffe, wir werden den heutigen Tag alle lebendig überstehen.
«Hier übernachtet ihr?», fragt Shawn etwas überrascht. Er sieht sich neugierig in der Lobby um, während wir uns einen Weg zum Aufzug bahnen. Ich habe so eine Reaktion schon erwartet. Schliesslich ist das hier ein 5-Sterne Hotel, dass auch extrem chic aussieht. Ich nicke nur und zeige auf das andere Ende der Eingangshalle. «Dort ist der Lift.»
Eine grosse Gruppe Japanischer Touristen versperren den Weg. Ich greife nach Shawns Hand, als ich fast rücklings von einem älteren Mann umgeschubst werde, der mich anscheinend gar nicht gesehen hat. Shawns grosse, warme Hand hält meine fest. Er zieht mich sanft aber bestimmt durch die Gruppe, die ihm aus dem Weg geht, als wäre er Moses und sie das Rote Meer. Mir ist bis jetzt gar nicht aufgefallen, dass er so viel grösser ist als ich. Er muss meinen Bruder ebenfalls um etwa einen halben Kopf überragen. Ich starre einen Moment an ihm hoch, dann konzentriere ich mich auf den leichten Druck seiner Hand. Wenn ich gewusst hätte, wie schön und aufregend es ist, die Hand eines Jungen zu halten, dann hätte ich es früher getan.
Ganz im Ernst, es fühlt sich an, als würden kleine Schockwellen durch die leichte Berührung gesendet, die mein Herzschlag ums Doppelte verschnellert. Das hört sich zwar nicht unbedingt schön an, ist es aber. Ich bin so abgelenkt durch das Händchenhalten, dass ich nicht einmal die Blicke bemerke, die uns einige der Japaner zuwerfen. Sobald wir aus der kleinen Menschenmenge heraussind und vor dem Lift stehen, lässt Shawn meine Hand los. Ich versuche meine Enttäuschung darüber zu überspielen, indem ich fünfmal nacheinander den Knopf des Aufzuges drücke. Vielleicht kommt er so schneller?
«Hätten wir deinen Bruder vorwarnen müssen, dass ich mitkomme?», will Shawn auf einmal wissen. Ich hebe meinen Kopf und sehe ihn mit einem kleinen Lächeln an. «Nein, er bringt ständig Besuch mit. Dann kann ich auch mal jemanden zum Essen einladen.» Er öffnet seinen Mund leicht, wie um etwas zu sagen, entschliesst sich dann aber dagegen, als die Aufzugtüren aufgehen. Wir steigen beide gleichzeitig in den Lift und ich drücke den obersten Knopf. Den Rest der Zeit, bis wir Ed und mein Hotelapartment betreten, verbringen wir schweigend. Shawn kaut auf seiner Unterlippe und denkt wohl über meinen äusserst furchteinflössenden grossen Bruder nach. Und ich – ich bewundere Shawns Unterlippe und frage mich, wie es wohl wäre, ihn zu küssen.
«Ich bin wieder zurück! Und ich habe Besuch dabei!», rufe ich, sobald wir das Hotelapartment betreten. Shawn schliesst die Türe hinter uns. Ich ziehe rasch meine Schuhe und Jacke aus, werfe beide in eine Ecke der kleinen Garderobe im Eingang. Aus der Richtung des Wohnzimmers kommt ein lautes «Wir kommen gleich», von Kev zurück. Ed ist wohl in der Küche und versucht sein Glück beim Kochen. Shawn starrt nervös in die Richtung, aus der die Stimme gekommen ist. Ich tippe ihm auf die Schulter und bedeute ihm, seine Jacke und Schuhe auszuziehen. Stumm gehorcht er und hängt seine Jacke sorgfältig an einem der Bügel auf, direkt neben Eds schwarzer Lederjacke.
«Denkst du, dein Bruder wird mich mögen?», flüstert Shawn leise, während er unruhig in Richtung Wohnzimmer schaut. Ich nicke und lächle ihn aufmunternd an. «Klar, mein Bruder wird dich toll finden. Nimm einfach nicht alles ernst, was er sagt. Er kann manchmal ein Witzbold sein.» Er nickt, die Nervosität ist ihm jetzt richtig anzusehen. Aus irgendeinem Grund finde ich das unglaublich süss. Am liebsten hätte ich seine Hand erneut in meine genommen und sie aufmunternd gedrückt, aber das getraue ich mich dann doch nicht. Besonders nicht, wenn Kev und Ed jeden Moment hineinplatzen können.
Ich bedeute Shawn mir ins Wohnzimmer zu folgen, wo Kev auf dem Sofa liegt und Kekse futtert. «Hey Kev», grinse ich und stehle rasch einen Keks aus der Packung, die neben ihm liegt. «Alex!», ruft er empört, aber er ist zu faul um aufzustehen und mir den Keks wegzunehmen. Ich deute auf meinen Gast. «Das ist Shawn. Shawn, dass ist Kevin, kurz Kev. Er gehört zu meinem Bruder. Die beiden sind praktisch verheiratet.» Kev wendet sich Shawn zu und scheint plötzlich seinen Mund nicht mehr zuzukriegen. Was kein besonders schöner Anblick ist, mit dem halb zerkauten Keks im Mund. «Hey», begrüsst Shawn ihn freundlich. Er hat etwas rote Wangen bekommen und weicht Kevs unverblümten Blick aus. Es scheint ihm regelrecht peinlich zu sein, so angestarrt zu werden.
Dann taucht auch noch mein Bruder auf. «Schwesterchen», meint er, dann begrüsst er Shawn ganz beilläufig mit einem «Hey Shawn», so als würden sich die beiden schon ewig kennen. Ich runzle verwirrt meine Stirne, schliesslich hat mein Bruder doch die Vorstellungsrunde von eben noch gar nicht mitbekommen, oder? Ich sehe Ed verwirrt an und verfolge, wie es im Gehirn meines Bruders anfängt zu rattern. Dann er hält mitten in der Bewegung ein (er wollte ebenfalls einen Keks bei Kev klauen) und sieht Shawn noch einmal an.
«Shawn?», fragt er überrascht. Dann verwandelt sich seine überraschte Mine zu einem breiten Grinsen. «Shawn! Meine Güte, dich habe ich ja schon lange nicht mehr gesehen! Wie geht's Kumpel?» «Hey Ed!», lacht Shawn neben mir, der ebenfalls einen Moment gebraucht hat um die Situation zu verstehen. Ich hingegen stehe wie der letzte Depp da, während sich mein Bruder und Shawn umarmen, als ob sie sich schon seit Jahren kennen.
Von wo kennen sich die beiden bitte sehr? Nachdem sich die beiden aus der Umarmung lösen, fällt Eds Blick auf mich und er fängt an zu lachen, während er seinen Kopf schüttelt. Ihn scheint die ganze Situation äusserst zu amüsieren, während ich nichts mehr begreife.
«Alex, sag nicht, unser Shawn hier ist der Shawn von J.F. Rownings Buch-Signing?» «J.K. Rowling», korrigiere ich automatisch, gleichzeitig mit Shawn. Ich werfe ihm einen kurzen, sehr verwirrten Blick zu. «Doch, dort habe ich Shawn kennengelernt. Von wo kennt ihr euch denn?» Mein Bruder lacht glucksend und wirft Shawn einen sehr belustigten Blick zu. «Meine Güte, Schwesterchen, du hast echt keine Ahnung von Pop-Musik, oder?» Ich verziehe ungeduldig mein Gesicht. «Was hat denn Pop-Musik damit zu tun? Ist er ein Fan oder so?» Shawn stimmt in Eds Gelächter ein, genau wie Kev. «Nein, Shawn ist ebenfalls Musiker»
Ich werfe Shawn einen überraschten Blick zu. «Wirklich?!» Alle drei Männer nicken synchron. «Bist du in einer Band oder so?» «Ich bin Sänger, aber nicht in einer Band.», beantwortet Shawn meine Frage. Ich nicke, immer noch etwas überfordert mit der Situation. Aber Shawn muss doch ziemlich eine kleine Nummer sein, oder nicht? Sonst hätte ich ihn doch erkannt. Oder zumindest jemand anderes... Ich haue mir nach diesem Gedanken die offene Handfläche gegen die Stirne. Darum hat die Kellnerin Shawn so behandelt. Darum haben all die Leute gestarrt. Im Nachhinein hätte ich es viel schneller erkennen müssen, schliesslich kenne ich die Situation von meinem Bruder.
«Ich wusste gar nicht, dass du eine Schwester hast, Ed.», mein Shawn zu Ed. Seine ganze Nervosität ist wie weggeblasen und er ist wieder so entspannt wie eben noch im Café. Ed zuckt mit den Schultern. «Alex ist einige Jahre jünger als ich und lebt eigentlich noch Zuhause. Daher sehen wir uns kaum.»
«Wie heisst du nochmals zum Nachnamen?», wende ich mich an Shawn. «Mendes», grinst er. Ich durchforsche mein Hirn und irgendwie scheint mir der Name jetzt doch bekannt zu sein. Irgendwo habe ich wohl doch schon von ihm gehört. Mein Gesichtsausdruck scheint wohl zu verraten, was ich gerade denke, denn Shawn grinst leicht und meint: «Zerbrich dir nicht deinen hübschen Kopf darüber. Es ist schön, dass mich jemand Mal nicht erkennt.» Er zwinkert mir zu, was ein seltsames Gefühl in meinem Bauch auslöst. Hunger? Ich verdrehe die Augen, lasse es aber dann wirklich sein.
Hübschen Kopf... Shawn findet mich hübsch? Oder hat er es einfach so gesagt? Ich schüttle die Gedanken ab, bevor ich mir den Kopf darüber zerbrechen kann. «Was gibt es zu essen?», frage ich stattdessen meinen Bruder. Kev grinst. «Und da kommt die typische Sheeran Frage.» «Es gibt Nudeln mit etwas, was mal Fleisch war.», antwortet Ed und zuckt entschuldigend mit seinen Schultern.
«War?», hacke ich nach. Ed verzieht sein Gesicht zu einer Grimasse. «Kev und ich haben nebenbei YouTube Videos angeschaut.» Ich verdrehe die Augen, obwohl verbranntes Essen wirklich nichts Neues ist. Ed kann etwa so gut kochen wie ein Fisch einen Baum hochklettern kann. «Ich schaue schnell nach, ob ich unser Essen retten kann.», sage ich zu Shawn. Dann verschwinde ich in die Küche, ohne ein schlechtes Gewissen, dass ich Shawn gerade meinem Bruder und Kev ausgeliefert habe. Sie kennen sich ja anscheinend schon, daher sollte es schon nicht allzu schlimm enden. Ausserdem muss ich nach dieser Überraschung eindeutig meine Gedanken sortieren. Und Shawn Mendes googeln.
Sobald ich in der Küche stehe, seufze ich laut. Tja, dieses Essen ist echt nicht mehr zu retten. Während ich mich daran mache, etwas Essbares zuzubereiten, kann ich nicht anders, als an diese wunderschönen Augen zu denken. An die braunen Augen des Typen, der gerade in unsere Wohnzimmer steht und sich mit meinem Bruder unterhält. Ich bin wohl auch nicht mehr zu retten.
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