7.
Der Tag in dem finsteren Bau hatte sich dahingezogen wie Schneckenschleim, doch als endlich die Abenddämmerung anbrach, raschelte der Eingang zu Blumenpfotes Gefängnis. Sie blickte auf und erschrak.
Sie hatte mit einem Schüler gerechnet. Vor ihr stand jedoch der größte Kater den sie je gesehen hatte. Aber das war nicht alles. Sein braun gestreifter Körper war schrecklich entstellt, von Narben und kahlen Stellen übersäht. Sein linkes Auge starrte ihr trüb und leer entgegen, als er ihr eine Maus vor das Nest fallen ließ.
Blumenpfote blickte hinunter zu der mickrigen Beute und schluckte beim Anblick seiner riesigen Tatzen.
"B-Bist du...Blattpfote?", wagte sie zu fragen und legte die Ohren an.
"Geht dich nichts an", knurrte der Riese und zog sich wieder zurück.
Erleichtert, von der Anwesenheit dieses Katers befreit zu sein, verschlang Blumenpfote die Maus in wenigen Bissen. An der Beute war kaum etwas dran, so mager war sie.
Trotzdem in ihrem Hunger gestillt ließ sich die gesprenkelte Kätzin zurück in ihr Nest sinken. Sie hatte es sich weit schlimmer vorgestellt, aber eigentlich wurde sie in Ruhe gelassen. Nur den Bau durfte sie nicht verlassen, denn vor dem Eingang saß eine golden gestreifte Kätzin um sie zu bewachen.
Wenigstens haben sie mir nichts angetan. Besser hier drin, als im SternenClan.
Blumenpfote versuchte, positiv zu bleiben, immerhin hatte sie es warm und ihr Bauch war voll. Es hätte sie weit schlechter treffen können. Mit dem Rücken zur hinteren Wand rollte sich die Heilerschülerin enger zusammen und legte die Schwifspitze auf ihre Nase. Sie war unendlich müde, der finstere Bau gaukelte ihr schon den ganzen Tag die Nacht vor. Doch der SternenClan hatte nicht vor, ihr ihren Schlaf zu gewähren.
Die Geräusche des SchneeClan-Lagers verhallten, stattdessen hörte Blumenpfote Grillen zirpen und Gras, das sich sanft im Wind wog und leise rauschte. Der Geruch nach Blattfrische strömte in Blumenpfotes Nase und als sie die Augen aufschlug blendete sie ein helles Licht. Schnell schloss sie die Augen wieder und blinzelte nur vorsichtig hindurch. Was war das für ein Ort? Es sah einfach wunderschön aus. Schmetterlinge torkelten über eine weite Wiese, in der Nähe plätscherte ein Bach und weiße Wölkchen, geformt wie Schafe zogen träge über den Himmel.
"Hallo Blumenpfote."
Die Heilerschülerin fuhr zusammen und wirbelte herum, wobei sie einige Blumen platt trat. Sofort tat ihr ihre Reaktion leid. Aber dann hob sie den Blick.
"Wer bist du?", fragte sie mit Unverständnis in den Augen. Sie kannte diese Katze nicht.
Vor ihr stand eine gedrungene, rundliche Kätzin mit dunklem Schildpattfell und Bernsteinaugen. Trotz der pummeligen Figur der Fremden, empfand Blumenpfote, dass sie nie eine schönere Kätzin gesehen hatte.
"Ich bin Ginsterlied" miaute die Kätzin mit einer Stimme so weich und süß wie Honig.
Ginsterlied? Woher kannte Blumenpfote diesen Namen? In ihrem Pelz leuchteten Sterne, also musste sie eine Verstorbene sein. Da fiel ihr eine Geschichte ihrer Mutter ein,an deren Ausgang sich Blumenpfote erst einen halben Tag zuvor erinnert hatte.
"Du bist Bachsterns Schwester!", platzte es aus ihr heraus und die Schildpattkätzin nickte bedacht.
"Das bin ich. Einst war ich an deiner Stelle."
Blumenpfotes Schweif begann aufgeregt zu peitschen.
"Dann kannst du mir doch sagen, was ich tun soll!"
Doch Ginsterlied schüttelte den Kopf.
"Nein, Blumenpfote, das kann ich nicht. Du musst deinen Weg alleine finden."
"Aber was möchtest du dann von mir?", verwirrt ließ sich die gesprenkelte Kätzin auf ihr Hinterteil fallen. Sollten SternenClan-Katzen nicht in solchen Situationen helfen?
"Ich bin gekommen, um dir eine Nachricht zu überbringen. Geh ein Stück mit mir", meinte die SternenClan-Kätzin, lächelte ihr zu und lud sie mit dem Schweif ein, ihr zu folgen.
Schnell sprang Blumenpfote auf und beeilte sich an Ginsterlieds Seite. Die geisterhafte Kätzin neben ihr fühlte sich nur an wie ein warmer Windhauch, der ihr durch das Fell fuhr.
Was ist, wenn es eine Prophezeiung ist? Ohje, Nesselfrost hat mir noch nicht beigebracht, wass ich bei Prophezeiung beachten muss!
"Wir sind da", sagte Ginsterlied plötzlich und blieb mitten auf der Wiese stehen. Nichts anderes als Gras und Blumen waren zu sehen.
"Wie, wir sind da? Hier ist noch nichts", merkte Blumenpfote an und drehte sich einmal um die eigene Achse. Es gab nichts besonderes an dieser Stelle.
"Sieh dir dieses Gänseblümchen an. Was siehst du?", forderte die Schildpattkätzin sie auf. Ob es wirklich so eine gute Idee gewesen war, mit ihr zu kommen?
"Ich sehe ein Gänseblümchen, was sonst?"
"Beschreibe es mir."
"Es ist klein. Und weiß."
"Genau. Es ist weiß. Und nun, sieh es dir von unten an."
Langsam bezweifelte Blumenpfote den Verstad der durchscheinenden Kätzin, tat jedoch, was sie verlangte, und kauerte sich auf den weichen Boden um unter die Blätter der zarten Blüte zu lugen.
"Von unten ist es rosa."
"Genau. Alles ändert sich, wenn man es von einem anderen Blickwinkel betrachtet."
"Jaja, sehr schön", miaute Blumenpfote und richtete sich auf. "Aber was wolltest du mir sagen?"
Aber von Ginsterlied war nur noch ein Hauch Sterne zusehen und dann war sie vollends verschwunden.
"Ginsterlied? Ginserlied!"rief Blumenpfote, doch die SternenClan-Kätzin kam nicht zurück.
Noch verwirrter als zuvor kam Blumenpfote in ihrem Nest beim SchneeClan zu sich. Ginsterlieds letzte Worte hallten kaum hörbar in ihrem Kopf nach.
"Alles ändert sich, wenn man es aus einem anderen Blickwinkel betrachtet"
Und das soll es sein? Das ist doch lächerlich! Was für ein Mäusedung!
Wütend grub Blumenpfote die Krallen in das Moos. Nesselfrost hatte sie schon vor den kryptischen Botschaften des SternenClans gewarnt, aber dabei hatte Blumenpfote an ein Rätsel gedacht oder eine verschlüsselte Nachricht. Doch nicht an sowas. Das war gar nichts!
Während Blumenpfote innerlich tobte, brach draußen plötzlich ein Tumult aus, der ihren gedanklichen Beschimpfungen an den SternenClan unterbrach.
Was ist da draußen bloß los?
Am liebsten hätte Blumenpfote den Kopf aus dem Bau gestreckt, doch sie war gewarnt worden, dass sie ihre Knocken einzeln einsammeln konnte, wenn auch nur ein Haar von ihr den Bau verließ, also verhielt sie sich ruhig, und lauschte mit gespitzten Ohren. Sie lehnte sich immer weiter Richtung Ausgang um die Worte der SchneeClan-Katzen mithören zu können, doch plötzlich trat jemand ein und Blumenpfote kassierte einen Tritt gegen die Nase, weil sie so nahe an den Ranken gelegen hatte.
"Steh auf und kommt mit!", das war Blattpfotes mürrische Stimme, zumindest vermutete sie, dass er Blattpfote war, seinen Namen hatte er ihr ja nicht verraten wollen.
Überrumpelt folgte Blumenpfote dem großen Kater. Sobald sie aus dem Bau draußen war, stach ihr ein bekannter Geruch in die Nase. Blut! Der Gestank löste bei ihr sofort Alarm aus, doch sie beherrschte sich und ließ sich von Blattpfote in die Mitte der Lichtung führen.
Dort lag ein Kater, sein dunkelgraues Fell war blutgetränkt und an einigen Stellen komplett zerfetzt. Seine gesamte Flanke war senkrecht aufgerissen und blutete unaufhörlich. Umringt von mehreren Katzen, wahrscheinlich seiner Familie, rang der Kater um jeden einzelnen Atemzug, jedes Ausatmen bescherte dem Boden einige Sprenkel Blut.
Blumenpfote war entsetzt über den Anblick des schwer verletzten SchneeClan-Kriegers und das ging nicht nur ihr so. Ein dunkelbraunes Junges, das sich zu weit vorgewagt hatte wurde grob von seiner Mutter zurückgezerrt. Es war auch besser so. Ein Junges sollte so etwas nicht zu sehen bekommen.
"Also was ist? Kannst du ihm helfen?", fragte Blattpfote sie von der Seite. Blumenpfote musterte den Verletzten. Die Wunden waren nicht allzu tief, Spinnweben, Goldrute und Ringelblume würden reichen.
"Ich kann", miaute sie und ein erleichtertes Seufzen ging durch die Menge. "Aber ich werde nicht."
Dutzende Augenpaare starrten Blumenpfote feindselig an, mehrere sahen aus, als wollten sie ihr am liebsten die Kehle aufschlitzen. Kurz darauf fand Blumenpfote sich am Boden wieder, ihr Kopf schlug zum zweiten Mal an diesem Tag schmerzhaft auf der Erde auf. Auf ihrer Schulter lagen Blattpfotes gewaltige Tatzen, sie sah beängstigend genau, wie sich seine glänzenden Krallen aus den schützenden Hauttaschen herausschoben.
"Was hast du gesagt?!", knurrte der Kater angriffslustig, sein von Narben verzerrtes Gesicht kam dem ihren immer näher.
"Ich werde euch nicht helfen! Seit Monden terrorisiert ihr meinen Clan, mit was habt ihr euch das verdient?", fauchte Blumenpfote hasserfüllt zurück und bleckte die Zähne.
"Du wirst ihm helfen!"
"Werde ich nicht!"
"Doch das wirst du, oder..."
"Lass sie los Blattpfote. Teichsturm schafft es auch ohne sie."
Das war Mausestern. Ihre schlanke Gestalt tauchte auf dem Felsen auf und durchbohrte den gestreiften Kater mit einem strengen Blick.
"Aber...!"
"Widersprichst du deiner Anführerin?"
"Nein, Mausestern."
Blattpfote ließ von Blumenpfote ab, die versuchte, sich möglichst würdevoll aufzurichten. Mit hoch erhobene Haupt drehte die Heilerschülerin um und kehrte in ihren dunklen Bau zurück.
Ich werde euch niemals helfen. Da könnt ihr euren Hintern drauf verwetten!
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