21. Herausforderung angenommen
Es war kurz nach Sonnenhoch, als Glutpfote mit seinem besten Freund Wacholderpfote schweigend durch die Farne am Rand des SeeClan-Territoriums streifte. Die Birken ragten über ihren Köpfen auf und raschelten mit ihren gezackten Blättern in der warmen Brise, die Vögel sangen. Es hätte ein schöner Tag sein sollen.
Es ist aber kein schöner Tag, dachte der rote Kater bitter und zertrat jede Blume die ihm in den Weg kam. Seine Muskeln schmerzten vom Training und fühlten sich steif an, obwohl seine Bemühungen wie immer ins Nichts gegangen waren.
"Hey...", miaute Wacholderpfote und knuffte ihm leicht in die Schulter. "Tut mir leid, dass Finsterblatt wieder so gemein zu dir war."
Glutpfote seufzte. Sein Freund war wirklich immer für ihn da, aber wirklich helfen konnte er nicht. Trotzdem war es tröstlich zu wissen, dass es Wacholderpfote nicht egal war, wie es ihm ging.
"Schon gut", antwortete der rote Kater mit dem Blick starr auf den Weg vor sich gerichtet. "Ist ja nicht deine Schuld."
"Das weiß ich doch. Ich hoffe nur, dass du weißt, dass es auch nicht deine Schuld ist", erklärte der dunkelbraun getigerte Kater. Offenbar hatte er den abweisenden Ton in Glutpfotes Stimme überhört, der ihm eigentlich hätte sagen sollen, dass er jetzt nicht darüber reden wollte. "Finsterblatt verhält sich wie ein Haufen Dachsdung!", schimpfte er weiter, aber bei Glutpfote stellte sich das Fell auf, als er sich zu ihm umdrehte.
"Er ist immer noch mein Vater, Wacholderpfote!", miaute er in einem warnenden Ton. Finsterblatt war nicht gemein, er war streng und legte hohen Wert auf harte Arbeit und Perfektion. Es war nicht die Schuld seines Vaters, dass Glutpfote nicht so hinbekam, wie er es sehen wolte.
Wacholderpfote legte betreten die Ohren an.
"Tut mir leid. Ich finde nur, dass er dich viel zu hart dran nimmt. Du bist immer viel länger beim Training als wir, musst viel mehr Beute fangen, als wir. Du musst uns immer übertreffen und ich verstehe das nicht. Mistelblatt sagt zu mir immer, dass ich mich wegen einem Fehler nicht verrückt machen soll und Finsterblatt sagt dir genau das Gegenteil, als wollte er, dass du wegen jedes Missgeschicks durchdrehst", murmelte der dunkle Tigerkater.
Glutpfote wollte wiedersprechen, musste aber zugeben, dass Wacholderpfote recht hatte, weil sie sich genau jetzt mit einer Strafe des schwarzen Katers beschäftigen mussten. Am Morgen hatten sie die Aufgabe bekommen, gemeinsam zu jagen, hatten aber in der vorgegebenen Zeit nur ein Beutestück zurückgebracht und das nur, weil sich Glutpfote nicht richtig konzentrieren konnte. Er hatte schon die Standpauke in seinen Ohren gehört, bevor sie die Beute überhaupt zurückgebracht hatten.
"Lass uns einfach jagen", murmelte der rote Kater kraftlos und setzte seinen Weg fort. Sie sollten sich ohnehin beeilen, damit sie niemand erwischte, wie sie das Territorium verließen. Es war für die Schüler streng verboten, den klitzekleinen Zweibeinerort zu besuchen, der sich hinter einigen Hügeln im Wald befand. Er war weit genug weg und so wenig bewohnt, dass er keine Gefahr für den SeeClan darstellte, aber trotzdem lebten dort ein paar wenige Zweibeiner und Hunde, sowie ein paar Pferde.
Glutpfote wusste, dass er und Wacholderpfote mächtig Ärger bekommen würden, wenn man sie erwischte, aber die Strafe war unmöglich abzuarbeiten, ohne sich bei den Mäusen dieses Zweibeinerort zu bedienen.
Der rote Kater knurrte kaum hörbar, als ihm die Stimme seines Mentors und Vaters im Kopf wiederhallte.
Ich werde Hechtsprung bitten, alle Jagdpatrouillen für nach Sonnenhoch abzublasen und ihr werdet für den Clan jagen. Und ihr seid besser vor Sonnenuntergang zurück!
Für den ganzen Clan jagen, pff. Für zwei Schüler war das eine unmögliche Aufgabe, es sei denn, man schaffte es bis in die Scheune. Dieses seltsame Wort hatte Glutpfote bei den Ältesten aufgeschnappt, er selbst war erst einmal dort gewesen, um trockenes Nestmaterial zu besorgen. Damals hatte er noch keine einzige Jagdlektion gehabt, aber sein Jagdinstinkt hatte sich bei dem Geruch, dem leisen Getrappel und dem geringen Verstand der Scheunen-Mäuse beinahe überschlagen.
Glutpfote und Wacholderpfote überquerten schnell die Grenze und erklommen die Hügel, die sich zwischen dem Territorium und dem Zweibeinerort befanden. Bald schon tauchten die ersten Nester zwischen den Bäumen auf, einige Rauchfahnen stiegen von ihnen in die Luft auf. Hundegebell drang leise an die Ohren der beiden Schüler.
"Komm, wir beeilen uns besser", meinte Glutpfote und setzte über einen steinernen Wall hinweg, Wacholderpfote folgte ihm.
Alles blieb ruhig, was ein gutes Zeichen war. Sie konnten es sich nicht leisten, erwischt zu werden, egal von wem. Die beiden Kater eilten über die Pfade zu einem großen, hölzernen Nest, das eine schlammig-grüne Farbe hatte. Im Inneren, das wussten sie, stapelte sich das trockene Gras bis zur Decke hinauf und die Mäusegeruch würde die beiden umhauen.
Glutpfote ließ seinem Feund lieber den Vortritt, sich durch die enge Spalte zwischen zwei Holzscheiten zu zwängen. Sein eigener Pelz wurde fest an seinen Körper gepresst, als er dem Tigerkater folgte und plötzlich im Halbfinsteren stand. Letztes Mal war es hier heller gewesen, aber als Glutpfote nach oben blickte, erkannte er den Grund. Einer der Heustapel war umgekippt und blockierte das Licht von einem der beiden eckigen Öffnungen, die nach draußen führten.
Der rote Kater spitzte die Ohren, in seinem Maul lief ihm schon das Wasser zusammen, weil er die Mäuse riechen konnte, aber auch hier war etwas anders als damals. Es schienen weniger zu sein. Immer noch genug, um ausreichend für den Clan zu fangen, aber weniger als letztes Mal.
"Wollen wir?", fragte Wacholderpfote und sah ihn erwartungsvoll an. Sein dunkel geringelter Schweif peitschte aufgeregt hinter ihm.
"Je schneller desto besser", gab Glutpfote zurück und tapste so leise wie möglich durch das Heu. Auch wenn die Mäuse dumm waren, musste er es ja nicht darauf anlegen, sie zu verscheuchen. Gerade lauerte er auf sein erste Beute, als plötzlich ein dumpfes "Wumms" ertönte und die kleinen, braunen Tiere mit einem Mal verschwunden waren.
Verwundert sah Glutpfote sich um und fand sich einem grünen Augenpaar gegenüber, das ihn äußerst wütend anfunkelte.
"Das ist mein Revier!"
Glutpfote stolperte zurück und fiel gegen Wacholderpfote. Wie aus dem Boden gewachsen stand da eine junge Kätzin, wahrscheinlich ein wenig jünger als sie, mit kurzem, hellgrauem Fell, das von dunklen Streifen geziert war. Sie hatte einen schlanken, eleganten Körperbau, runde Ohren und einen geschmeidigen Gang, war aber weder so groß, noch so kräftig wie eine Clan-Katze. Um ihren Hals schlang sich ein dunkelblaues Halsband, das Glutpfote aufatmen ließ. Das war bloß ein Hauskätzchen. Ein wenig begeistertes Hauskätzchen, aber trotzdem ein Hauskätzchen.
"Das ist mein Revier", wiederholte die Kätzin und knurrte, klang aber nicht besonders überzeugend.
Wacholderpfotes verkniff sich ein Lachen.
"Vertreib uns doch", scherzte er und kicherte. Glutpfote musste unweigerlich prusten. Dieses Kätzchen konnte es nicht mit ihnen beiden aufnehmen, auch wenn sie noch kein Kampftraining gehabt hatten. "Hauskätzchen haben keine richtigen Reviere", fügte der dunkle Tigerkater hinzu.
"Ich schon!", fauchte die Kätzin und trat unerwartet einen Schritt auf die beiden zu. "Ihr stinkt nach Clan-Katze. Gerade ihr solltet doch dieses Prinzip verstehen", konterte sie.
Glutpfote trat ihr entgegen und merkte ein wenig erleichtert, dass er doch ein ganzes Stück größer war als sie.
"Territorium muss man sich verdienen. Wenn man es nicht beschützen kann, geht es an den Stärkeren", triezte er die grau getigerte Kätzin, die verächtlich schnaubte.
"Verschwindet hier!"
Wacholderpfote lachte auf.
"Sieh mal, Glutpfote. Das Hauskätzchen will uns Befehle erteilen, ist das nicht niedlich? Sag, wie heißt du, oh große Anführerin", feixte der dunkle Tigerkater und verneigte sich mit triefendem Sarkasmus tief vor der Kätzin.
Irritiert wich diese einen Schritt zurück.
"Blümchen", stotterte sie.
Glutpfote musste einfach lachen. So einen lächerlichen, weichen Namen hatte er noch nie gehört.
"Hast du gehört? Blümchen heißt die große Kriegerin, die uns hier vertreiben will. Blümchen!"
Wacholderpfote warf einen Klumpen loses Heu nach der Kätzin, die verärgert danach schlug und es in der Luft zerstreute, sodass es mit einer Staubwolke auf sie herunterrieselte und sie zum Husten brachte.
Glutpfote grinste und schlich sich näher an sie heran.
"Komm schon, Wacholderpfote, lass sie ihn Ruhe. Sie ist doch bloß ein armes Mäuschen, dass von den Zweibeinern wie ein Hund gehalten wird. Ich bin mir sicher, sie hat es total drauf!" Mit dem letzten Wort versetzte er ihr einen Schubs, der sie umkippen ließ. Verdattert und mit trockenem Gras bedeckt lag Blümchen auf der Seite und sah nun, nicht mehr ganz so selbstsicher, zu ihm rauf.
Genau, Kleine! Ich bin hier der Stärkere!
"Wir sind Krieger, du Hauskätzchen. Gegen uns hast du keine Chance. Du hättest nicht mal eine, wenn du eine Kriegerausbildung bekommen dürftest, und weißt du warum? Weil verweichlichte Miezekatzen wie du niemals mithalten könnten!"
"Los, verschwinde, Blümchen. Wir jagen jetzt hier. Vielleicht hast du Glück und wir gehen auch wieder", miaute Wacholderpfote höhnisch und baute sich vor der Kätzin auf. Kurz setzte sie zu einem Schlag an, aber als der Schüler ihr mit erhobener Tatze drohte, wich sie zurück und lief davon.
"Was für ein jämmerliches Ding", lachte Wacholderpfote und schüttelte sich.
"Die hätten wir so platt gemacht, wenn sie sich weiter so aufgespielt hätte", stimmte Glutpfote zu. "Lass uns jetzt jagen und dann zurückgehen, sonst kommen wir noch zu spät."
Nur einmal sahen sie Blümchen noch, während sie jagten. Die getigerte Kätzin tauchte an der eckigen Öffnung auf und starrte zornig auf sie herunter, wagte es aber nicht, erneut das Maul aufzumachen.
Endlich, kurz bevor die Sonne den Horizont berührte, empfanden die beiden Schüler, dass sie genug gefangen hatten und packten ihre Beute zusammen. Glutpfote renkte sich fast den Kiefer aus, als er so viele Mäuse aufnahm, wie er tragen konnte und verließ mit Wacholderpfote den Zweibeinerort. Erst im Wald erlaubten sie sich eine Pause, legten die Beute ab und vergruben die Hälfte. Den Rest wälzten sie ein bisschen in Farn und Moos, damit die Mäuse auch richtig nach Wald rochen und niemald Verdacht schöpfen würde.
Glutpfotes Beine waren nah dran, aufzugeben, als sie endlich das Lager erreichten. Finsterblatt wartete schon auf sie. Selbst als er die Beute sah, die sie mitgebracht hatten, sah er nicht begeistert aus.
"Wir haben noch einmal so viel", warf Wacholderpfote beschwichtigend ein. "Wir haben den Rest vergraben, weil wir so viel nicht tragen konnten."
Glutpfote biss sich auf die Lippe. War das genug für seinen Vater?
Finsterblatt wiegte den Kopf hin und her.
"Genug für den ganzen Clan ist das nicht. Aber doch eine beachtliche Menge. Ich konnte Hechtsprung sowieso nicht überreden, alle Patrouillen abzusagen, eine ist trotzdem aufgebrochen. Holt noch den Rest, verteilt die Beute und ruht euch dann aus", miaute der Kater, wandte sich ab und stolzierte davon. Kein "Gut gemacht", kein "Danke". Nicht das Glutpfote wirklich eines erwartet hätte, aber all seine Mühe kam ihm verschwendet vor.
Ohne ein Wort zu wechseln holten die beiden Schüler den Rest der Beute und brachten jedem der eine Maus wollte eine davon.
Unendlich erschöpft ließ sich Glutpfote neben Hagelpfote, Haferpfote und Sandpfote fallen, die sich vor dem Schülerbau ausgebreitete hatten, um sich die Zunge zu geben. Auch Wacholderpfote gesellte sich zu ihnen und ließ sich zwischen seine Brüder plumpsen.
"Ihr habt ja echt viel gejagt, heute. ", miaute Hagelpfote, eine hellgraue Kätzin.
Glutpfote musste gar nicht hinsehen umzu wissen, dass das Kompliment nicht an ihn, sondern an Wacholderpfote gerichtet war. Jeder konnte sehen, dass Hagelpfote in ihn verknallt war, nur nicht der Tigerkater selbst. Glutpfote musste jedes Mal grinsen.
Mit einem Ächzen streckte Wacholderpfote sich aus.
"Es war auch total anstrengend. Stellt euch vor, ein Hauskätzchen hat versucht, uns vom Jagen abzuhalten!"
Sofort waren alle Augen bei ihnen. Glutpfote erzählte bereitwillig davon, wie sie mit Blümchen umgesprungen waren, ließ dabei aber aus, dass sie das Territorium verlassen und in ihres eingedrungen waren.
"Die Hauskätzchen werden auch immer frecher", miaute Sandpfote und legte sich das Vorderbein. "Keiner von diesen verweichlichten Katzen kann doch wirklich glauben, dass sie stärker sind als wir."
"Haben wir auch gesagt", stimmte Wacholderpfote zu, der sich mit Haferpfote kurz die Zunge gab.
Sie plauderten noch eine Weile und waren so vertieft, dass ihnen der kleine Tumult nicht auffiel, der sich auf der Hauptlichtung abspielte. Glutpfote bemerkte es erst, als er die aufgeregtenStimmen hörte und rannte mit seinen Baugefährten um den Schülerbau herum, um sich unter die Katzentraube zu mischen, die sich um den Anführerbau gebildet hatte.
"Was ist da bloß los?", fragte Glutpfote, während er vergeblich versuchte, sich durch die Krieger zu zwängen.
"Keine Ahnung, ich kann nichts sehen!", jammerte Hagelpfote neben ihm.
Das Getuschel um Glutpfote herum schwoll noch weiter an, als er es endlich schaffte, dass Graupelschatten, ein junger Krieger, ihn und seine Freunde nach vorne ließ.
Dem roten Kater blieb beinahe das Herz stehen. Wacholderpfote schien es ganz ähnlich zu gehen, seine grünen Augen waren weit aufgerissen und sein Mund stand offen.
In der Mitte der Traube stand Blümchen!
Stolz stand die grau getigerte Kätzin Lichtstern gegenüber und sah der Schildpattkätzin fest in die Augen. Einen Teil der unfreiwilligen Versammlung hatten Glutpfote und seine Freunde wohl verpasst, denn Lichtstern sagte nichts, sondern schien zu überlegen.
Neben Glutpfote raunte Graupelschatten Frosthaar etwas zu.
"Das ist bestimmt noch nie passiert, dass ein Hauskätzchen hier einfach so reinspaziert und aufgenommen werden will."
Glutpfotes Herz pochte wie verrückt. Blümchen konnte ihn verraten, sie hatte ihn und Wacholderpfote in den Krallen. Sie war nicht einfach so reinspaziert, sie war ihnen hierher gefolgt, um sich zu rächen!
Die älteren Krieger diskutierten mit Lichtstern eine Weile, aber Glutpfote konnte nichts verstehen. Schließlich richtete sich die Anführerin auf.
"Nachdem ich mich mit meinen erfahrendsten Kriegern beraten habe, habe ich entschlossen, dass Blümchen einen Viertelmond bekommen soll, in dem sie beweisen muss, dass sie das hier auch wirklich ernst nimmt. Die Blattleere wird bald kommen und zusätzliche, jagende Pfoten können wir gut gebrauchen, vor allem, wenn sie freiwillig hier sind", gab die Schildpattkätzin bekannt und Glutpfote drehte sich der Magen um. Ein Viertelmond Probezeit. Er schluckte. Blümchen könnte jederzeit verraten, was er mit Wacholderpfote angestellt hatte.
Plötzlich spürte Glutpfote den Pelz seines Freundes neben sich.
"Keine Sorge, Glutpfote. In einem Viertelmond haben wir sie hier wieder rausgeekelt, keine Panik", wisperte er.
Trotzdem malte er sich schon sämtliche Strafen in seinem Kopf aus, sodass er nicht hörte, wie Blümchen ein Nest im Schülerbau zugeschrieben wurde. Auf einmal war Blümchen direkt vor ihm. Ihre grünen Augen funkelnden herausfordernd. Als sie an ihm vorbeistrich, drang ihre Stimme an sein Ohr, so leise und flüsternd, als würde der Wind sie herantragen.
"Wir werden noch sehen, wer hier die verweichlichte Miezekatze ist."
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