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13. 𝘑𝘶𝘭𝘪
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Am nächsten Nachmittag hatte Noël es nicht eilig. Gemütlich schlenderte er durch den Park, die Hände in den Taschen seines grauen Hoodies vergraben und den Rucksack locker über die Schulter gehängt. Kinderlachen erfüllte die Luft, wo Mädchen und Jungen miteinander Fangen spielten, und das Zwitschern von Vögeln drang an sein Ohr.
Noël atmete tief ein. Heute in der Uni hatte er mit seinen Freunden über ihre Wochenendpläne geredet und es war spannend zu hören, was die anderen vorhatten: Jakob würde nach Hamburg fahren, Milan würde versuchen, endlich einen Hund im Tierheim zu finden und die Zwillinge Emilia und Emilio wollten nach Hause, um den Geburtstag ihrer Mutter zu feiern.
Die letzte Ankündigung hatte ihn jedoch etwas traurig gestimmt. Es war nicht so, dass er sich in Berlin nicht angekommen fühlte - er liebte die Stadt sehr - aber sie hatte ihn daran erinnert, dass er sein Zuhause ebenfalls lange nicht mehr besucht hatte.
Sein letztes Telefonat mit seiner Mutter und Finja war mindestens eine Woche her. Obwohl sie stets von den besonderen Dingen erzählten, die sie erlebten, war es nicht mehr dasselbe. Früher wären sie bei dem schönen Wetter gemeinsam an den See geradelt und ins Wasser gesprungen, oder hätten Eis gegessen. Sie hätten auf dem Balkon gesessen und gescherzt, bis sie sich vor Lachen an ihrem Kirschsaft verschluckt hätten, und die nervigen Bienen wären um ihre Köpfe gesummt.
Ja... Wenn Noël ehrlich war, vermisste er sie ein wenig. Zum Glück kamen sie ihn bald besuchen.
Nachdenklich stellte Noël seinen Rucksack auf eine Bank und ließ sich auf dem dunklen Holz nieder. Er zog seine Kopfhörer hervor und schaltete Musik an.
Vielleicht konnten sie baden gehen, wenn Finja nächsten Monat da war. Das Wetter sollte toll werden. Aber der See im Park sah zu flach aus und niemand badete darin. Noël stellte sich vor, wie er und seine Schwester die Einzigen wären, die voller Motivation und in Badesachen durch den Park rannten und kreischend ins Wasser sprangen, während die anderen Parkbesucher verwundert guckten, und der Gedanke zauberte ihm ein Lächeln aufs Gesicht.
Er musste unbedingt nachsehen, wo der nächste Badesee war. Vielleicht heute. Oder morgen. Oder auch am Wochenende...
Noël schloss die Augen und ließ sich in die Musik fallen. Darum bemerkte er auch nicht, wie zwanzig Meter weiter rauschend im Wind die Blumen neben dem See zu beben begannen.
„Autsch - rutsch mal - nein warte, nicht so schnell!"
Die Blütenköpfe neigten sich gefährlich zur Seite und drei winzige Gestalten kullerten daraus hervor, um sich leise kreischend im Gras zu überschlagen. Sie rollten über das Blattwerk und wären beinahe in den See gestürzt, wenn der Wind sie nicht rechtzeitig abgefangen hätte.
„Himmel, was für eine Reise ...", stöhnte die eine.
Es war eine Fee. Sie hatte ein grünes Kleid und braune Haare, doch im Gegensatz zu den anderen sah sie relativ normal aus. Diese trugen Sachen aus allerlei Blütenblättern, wild zusammengewürfelt, und die Fee seufzte ergeben, als sie ihre Begleiterinnen im Gras jammern sah.
„Meine Damen!", bemerkte sie streng. Die Feen hielten inne. Mit leicht beschämten Blicken rafften sie sich auf, um vor ihrer Gouvernante zum Schweben zu kommen.
„Verzeiung, Lady Aalia", meinte die eine, während sie verlegen ihr Kleid richtete. Obwohl es kunterbunt war, passte es zu ihren gelben Flügeln. Ihr Name war Runa. „Solch eine holprige Reise war nicht meine Absicht."
Lady Aalia seufzte. Der Fehler war es nicht, der sie missmutig stimmte. „Ihr seid Wunschfeen", meinte sie, während die kleine Schwester Neelia sich zu ihnen gesellte und Aalia an ihre Eltern dachte, die einen gewissen Wert auf Anstand und Bildung legten. „Verhaltet euch bitte so."
„Haben wir hier einen Wunsch gehört?", fragte Neelia aufgeregt. Eigentlich war sie zu jung für den Wunscherfüller-Unterricht mit Menschenkontakt, aber sie hatte nicht still halten können. Am Ende hatte sie ihre Schwester verwirrt und die Reise durch die Blütenstaub-Sphäre war überaus unangenehm geworden.
„Ja. Seht nur."
Sie betrachteten alle den 21-jährigen Jungen, der mit grauem Hoodie und Kopfhörern schlafend auf einer Bank saß. Er hatte die Arme verschränkt, als sei ihm kalt, und eine Hand umfasste noch immer den Griff seines Rucksacks.
Lady Aalia klatschte in die Hände. „Nun gut. Runa, Neelia, schaut zu und lernt."
Die Feen flatterten unauffällig durch den Park. Sie drehten ihre Köpfe, doch kein Mensch war in Sicht.
„Also - Schritt eins, damit ein Wunsch in Erfüllung geht..." Sie näherten sich dem Jungen. „Ist Klarheit. Darüber, was er will - und was er nicht will."
„Wie bekommen wir das raus?", fragte Neelia.
„Wir fragen."
Sie schloss die Augen und berührte Noël an der Stirn. Runa tat es ihr gleich. Der Junge zuckte mit der Nase, als hätte ein Windhauch ihn gestreift, aber er lauschte weiter seiner Musik und blieb in den malerischen Klängen versunken.
„Hmm... Interessant." Sie wichen zurück. „Da sind zwei Wünsche: Einmal der nach seiner Familie... Und einmal ist da ein Bild von zwei lachenden Personen, die sich total im Park blamieren und spritzend in den See springen." Sie runzelte die Stirn und Runa lächelte.
„Also ich finde ihn süß", meinte sie.
„Konzentration, meine Liebe."
„Dann erfüllen wir den ersten Wunsch?" Sie schmollte, als hätte sie nur zu gerne das Zweite gesehen. Doch Lady Aalia wusste, dass die Erfüllung beider Wünsche noch eine Weile dauern würde. Seine Familie kam ihn noch nicht besuchen, darum mussten sie sich auf etwas anderes fokussieren.
„Schritt Nummer zwei", verkündete sie daher. Sie flatterte um seinen Kopf und musterte ihn von allen Seiten. „Verstehen, welcher Wunsch hinter dem Wunsch steckt."
Noël hob wage die Hand und wedelte damit in der Luft. Die Wunschfee wich aus.
„Wie meinst du das?", nörgelte Neelia.
Runa seufzte. Sie hatte längst verstanden. „Er sehnt sich nicht nach seiner Familie, sondern nach dem Gefühl von Unbeschwertheit und Geborgenheit, das er damit verbindet."
„Das kriegen wir hin." Aalia klatschte in die Hände und die Feen lächelten geheimnisvoll.
„Dafür sind wir Feen schließlich da. Runa, Wunscherfüllungs-Magie bitte in drei, zwei, eins ..."
„HUND!", kreischte Neelia.
Runa zuckte zusammen und pustete ihren Wunscherfüllungs-Staub statt über seine Augen in seine Nase. Noël fuhr zusammen, hustete wild und riss erschrocken die Augen auf. Die Feen stoben schreiend auseinander. Ein frei laufender Hund stürmte auf sie zu. Er sprang schwanzwedelnd an Noël hoch, als er versuchte, die Feen zu erreichen, aber diese waren längst ins Blätterdach geflohen.
„AHH ... Was zum Teufel?!"
Erschrocken riss Noël sich die Kopfhörer von den Ohren und seine Musik verstummte. Er versuchte, vor dem Labrador zu fliehen, aber dieser hatte sich längst beruhigt. Mit großen Augen starrte er in die Baumkrone. Die Feen scharrten sich eng zusammen.
„Oh nein", wisperte Runa, die am ganzen Körper zitterte. „Das wollte ich nicht!"
Lady Aalia legte ihr eine Hand auf den Arm. „Abwarten", flüsterte sie mit gespanntem Blick nach unten. „Magie entfaltet immer ihre Wirkung."
„Das tut mir soo leid!" Ein schwarzhaariger Junge kam hektisch über den Weg gerannt, die Arme wild ausgebreitet. Er trug einen blauen Pullover und eine Leine in der Hand, die er seinem Hund nicht angelegt hatte. Atemlos kam er zum Stehen, schenkte Noël einen kurzen Blick, bevor er seinen Hund am Halsband packte und endlich fortzog. „Normalerweise ist er nicht so. Sitz, Buddy!"
Der Hund setzte sich und Noël hielt den Atem an. „Alles in Ordnung", meinte er dann, als sein Schreck sich langsam legte. Erschöpft fuhr er sich übers Gesicht und musterte den Blütenstaub, der auf seiner Haut klebte. „Ich habe nur nachgedacht."
Er hatte seine Woche geplant. Und überlegt, was er eigentlich an diesem Wochenende machen wollte.
„Sicher? Ich glaube, ich hätte eine Herzinfarkt bekommen."
Der fremde Junge lachte und aus irgendeinem Grund musste Noël mitlachen.
„Nee, ich habe 'ne kleine Schwester, die kann mich manchmal genauso aus dem Nichts erschrecken", sagte er.
Der Junge grinste. „Na dann ist ja gut. Tut mir leid nochmal wegen Buddy. Ich versuche ihn gerade ein wenig zu trainieren, weil er neu bei uns im Tierheim ist, und er ist noch ein wenig ungezähmt. Aber das gibt sich schon, stimmt's, Buddy?"
Der Hund legte den Kopf schief und ließ die Zunge raushängen.
„Ohh!", quietsche Neelia aus ihrem Versteck vergnügt.
Auch Noël musterte den goldbraunen Labrador verwundert. Wenn er ihn nicht gerade angriff, machte er einen verspielten Eindruck, außerdem war er wirklich hübsch. Sein Fell wiegte sich im Wind und seine großen schwarzen Augen wirkten versonnen. Noël runzelte die Stirn.
„Ich kenne jemanden, der einen Hund wie Buddy sucht", meinte er prompt.
„Wirklich jetzt?"
„Ja, ein Kumpel von mir möchte einen Hund. Ich glaube, Buddy könnte ihm mit seiner Art gefallen. Ist er noch frei?"
Gespannt kniete Noël sich auf den Boden und kraulte das Tier am Nacken. Der Hund kläffte zufrieden. Er stupste ihn mit der Nase an und Noël lächelte. Milan würde sich bestimmt freuen, wenn er hörte, dass ein hübscher Labrador ein Zuhause suchte. Außerdem erinnerte Buddy ihn an irgendetwas. Er brauchte einen Moment, um es zu greifen, aber seine Nachbarn auf dem Land hatten früher auch einen Labrador gehabt. Noël hatte es geliebt, mit ihm zu spielen. Es war zwar nichts, was er zwingend in Berlin vermisst hatte... Aber wenn er es sich recht überlegte, könnte so ein trolliges Wesen wie Buddy ihm auch sehr gut gefallen.
Der Junge grinste ebenfalls. „Perfekt! Da schien Buddy ja doch genau zu wissen, was er tut." Er zwinkerte und streckte ihm die Hand entgegen. „Mein Name ist Jonas. Ich arbeite im Tierheim ‚Vier Pfoten für dich'. Wenn du magst, kannst du gerne am Wochenende mit deinem Kumpel vorbeikommen - ich werde Buddy bis dahin vor allen Interessenten verteidigen. Vielleicht klappt es ja, und dann kann Buddy dich öfter erschrecken."
Noël grinste. „Vielleicht." Er folgte dem Blick des Hundes zu den drei kunterbunten Blättern, die vom Wind getragen in Richtung des Sees schwebten, doch ihr Glitzern hatte er sich vermutlich nur eingebildet. Dafür zückte er sein Handy.
„Kann ich ein Foto machen?"
„Klar." Innerhalb von Minuten hatte er Buddys lebensfrohes Wesen mit seiner Kamera eingefangen, sich die Adresse vom Tierheim notiert und Milan eine Nachricht geschickt, dass er ihn begleiten würde. Nun hatte er doch einen Plan für das Wochenende. Er wollte unbedingt sehen, ob Buddy Milans neuer vierbeiniger Freund werden würde.
„Dann sehen wir uns!" Jonas grinste breit und schlug bei ihm ein, dann verschwanden die Beiden für ihren restlichen Spaziergang im Park. Noël schüttelte nur den Kopf.
Verrückt, dachte er, während er seinen Rucksack packte und sich den Blütenstaub aus dem Gesicht strich. Das musste er unbedingt Finja erzählen. Sie erzählte doch immer, dass es keine Zufälle gab, aber sollte es sonst sein, wenn nicht pures Glück?
Noch während er fröhlich pfeifend den Park verließ, flatterten die Feen aus ihrem Versteck nahe des Sees und blickten ihm hinterher.
„Seht ihr", meinte Lady Aalia und strahlte zufrieden. „Magie ist wahrlich zauberhaft. Und hier haben wir Lektion Nummer drei: Ihr müsst immer loslassen und abwarten, was passiert. Manchmal geht ein Wunsch nämlich ganz anders in Erfüllung, als wir alle denken ..."
Und damit machten sich die Feen durch die Blütenstaub-Sphäre auf den Heimweg.
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Zauberhafte Begegnung 𝘷𝘰𝘯 Tintenzauberin
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Sonnige Grüße
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